Dogma der Unfehlbarkeit erst nach Luthers Zeit

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Zum Artikel "Zweifel an der Unfehlbarkeit des Papstes" vom 1. Februar:

Im oben genannten Artikel schreibt Herr Ragge, dass schon Luther am Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes gezweifelt hätte: Dieses Dogma, Glaubenssatz, gab es zur Zeit von Martin Luther noch gar nicht! Dieses Dogma wurde auf dem ersten Vatikanischen Konzil am 18. Juli 1870 von Papst Pius IX. verkündet. Etwa ein Drittel der Konzilsväter waren zuvor aus Protest abgereist.

Der Theologie-Professor Ignaz von Döllinger (1799 bis 1890), der als der bedeutendste deutsche Theologe und Kirchenhistoriker galt, verstand seine Kirche nicht mehr.

Nachdem einige Jahre zuvor schon das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens für Unverständnis und Kopfschütteln sorgte, war 1867 das Maß voll. Da sprach nämlich Pius IX. Pedro Arbues heilig, eine der schlimmsten, blutrünstigsten Figuren der Kirchengeschichte, der als Inquisitor Tausende von Menschen auf grausamste Weise zu Tode quälen ließ.

Döllinger blieb bei seiner wissenschaftlichen Erkenntnis, woraufhin am 18. April 1871 Erzbischof Scherr von München, zuvor selbst ein Gegner der Unfehlbarkeit, gegen ihn den Bannfluch der Großen Exkommunikation schleuderte. Es kam zur Kirchenspaltung.

Konservativ und doch freiheitlich

Döllinger und seinen altgläubigen Gesinnungsfreunden blieb nichts anderes übrig, als eine eigene kirchliche Gemeinschaft zu gründen. Diese Alt-Katholische Kirche hat heute in der Welt etwa eine halbe Million Gläubige, 30 000 davon in der Bundesrepublik mit Sitz des Bischofs in Bonn. Jedem Priester ist es freigestellt, ob er heiraten oder im Zölibat leben will. Sie lehnt lediglich das ab, was Döllinger als die "neueste Dogmenfabrikation" bezeichnet hat: Unfehlbarkeit, Unbeflekte Empfängnis, Heiligenverehrung und Himmelfahrt Mariä.

Sie ist konservativ-katholisch und freiheitlich zugleich, ein lebendiges Beispiel dafür, wie eine wiedervereinigte Kirche aller Christen aussehen könnte.