Geistige Ausrichtungs-übungen

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Zum Artikel "Ein Wort macht Karriere" vom 25. Januar:

Erlauben Sie mir zu obigem Artikel auch ein wenig "kritische Berichterstattung". Bereits im vergangenen Jahr hatte ich zunehmend mehr Mühe, den nahezu täglichen geistigen Ausrichtungsübungen (jüngste Leserzuschriften nennen es bereits Wohlfühlberichterstattung) manches Journalisten Ihrer Zeitung nicht zu erliegen.

Trotz aller guten Vorsätze fällt das Standhalten auch im neuen Jahr leider immer schwerer. Mit Abstand Tagesbester heute war für mich eindeutig Herr Serif, der es doch - fast wie beiläufig, ganz cool und leicht locker im geistigen Schritt - nicht lassen kann, ein - in meiner Wahrnehmung - impertinentes Statement zu den Ereignissen in Duisburg (Loveparade) und Köln (Silvester) in seine "Kritische Betrachtung" einfließen zu lassen (Zitat, letzte Kolumne, vorletzter Absatz: "Auf der Loveparade war eine Massenhysterie ausgebrochen, die den Ravern bis heute den Spaß am Hedonismus ausgetrieben hat . . . Silvester aber . . . wird in diesem Jahr auch in Köln wieder gefeiert . . .).

War Duisburg mit 21 Toten doch wohl das schaurige Resultat einer ungewollten Panik, so ist Silvester in Köln mit einigen hundert gedemütigten Frauen (hoffentlich unstrittig) das schaurige Resultat hemmungslosen sexuellen Mutwillens. Noch gehe ich davon aus, dass sich hierüber auch in heutigen Journalisten-Kreisen Einmütigkeit in Art der Sicht und Kommentierung herstellen lässt. Im Duktus ("kritisch!") Ihres Mitarbeiters vermag ich da allenfalls die Sensibilität eines Journalisten Fleischerbeils zu erkennen.

Eine meiner Aufgaben in den nächsten Tagen und Wochen sehe ich darin, recht wachsam darauf zu achten, ob geistige Exkurse dieser Art sich in Zahl und Dichte in Ihrer Zeitung häufen. Ganzen Wellen verbaler Inkontinenz werde ich sicher nicht allzu lange standhalten können, so dass mir dann als letzter Akt geistiger Notwehr am Ende - leider - womöglich nur "per Liebesentzug" die Kündigung meines jahrzehntelangen Abonnements übrigbliebe.