Ist Populismus die Ursache des Problems oder die Lösung?

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Zum Debattenbeitrag "Was richtet der Populismus in unserer Demokratie an, Herr Oberbürgermeister?" vom 18. Februar:

Voller Interesse habe ich den Gastbeitrag gelesen. Ich hoffe, dass er den einen oder anderen Stammtisch oder AfD-Fan zum Nachdenken bringt. Leider überwiegt aber mein Pessimismus, denn wenn die Persönlichkeit an PS festgemacht und gelikter Schwachsinn nicht hinterfragt, sondern als Tatsache akzeptiert wird, frage ich mich, wie eine offene Diskussion entstehen soll. Wir wollen auch in Zukunft eine offene Gesellschaft. Wenn wir heute nichts dafür tun, werden wir später nicht mehr sagen können, dass wir nichts gewusst haben! Danke Herr Kurz und danke dem "MM" für den Beitrag. Von Gudrun Gratz-Fister, Mannheim.

Oberbürgermeister Kurz versucht, das Phänomen Populismus, das angeblich unser politisches System von innen angreift, zu erklären. Ich war gespannt, seine Version über Ursache und Wirkung zu erfahren. Sein Schlussplädoyer vorweg: Unsere Demokratie ist eine der besten, die es weltweit gibt und gegeben hat. Diesen Satz hätte ich vor zehn Jahren ohne Wenn und Aber bestätigt. Da gab es auch keine inflationäre Benutzung des Wortes "populistisch", genaugenommen wurde es überhaupt nicht verwendet.

Was hat sich also geändert? Sind wir plötzlich alle andere Menschen geworden oder hat sich die grundlegende politische, soziale und menschliche Situation geändert? Zunächst halte ich diesen Begriff für einen von links gekaperten Kampfbegriff, der eine Diskussion - schon bevor sie aufkommt - im Keim ersticken und längerfristig dafür sorgen soll, dass sich niemand mehr traut, eine vom scheinbaren Mainstream abweichende Meinung zu äußern.

Als Bedrohung hochstilisiert

Dass Herr Kurz diesen Begriff jetzt zu einer Bedrohung der Demokratie hochstilisiert, ist meines Erachtens maßlos übertrieben. Warum genau er als Oberbürgermeister die steigende Aggression gegen Institutionen zu spüren glaubt, bleibt sein Geheimnis, aber vielleicht liegt es ja auch an einer aus dem Ruder laufenden (Abfall)politik in seinem Verantwortungsbereich. Dass die Bindung zur Demokratie geschwächt ist, streite ich nicht einmal ab, aber die Schuld dafür dem Populismus in die Schuhe zu schieben, ist doch wohl ein bisschen zu billig.

Und wer ist damit gemeint, bei dem im Ungefähren gehaltenen "die Prinzipien würden immer weniger verstanden"? Vielleicht die Bürger mit deutschem Pass, die in der Oberhausener Arena dem türkischen Ministerpräsident Yildirim frenetisch zujubelten, als dieser für die Machterweiterung Erdogans und damit die Schwächung des Parlamentes warb? Haben da die Schulen versagt? Vielleicht die falschen Schwerpunkte gesetzt? Nein, das glaube ich nicht. Das ist einfach die private Meinung von Herrn Kurz. Genauso privat ist für mich seine Schlussfolgerung, dass das Treibmittel des Populismus Ausländerfeindlichkeit und im Umkehrschluss Ausländerfeindlichkeit gleich Populismus sei.

So richtig in Fahrt gekommen ist doch dieser Begriff, als Herr Lucke die AfD gegründet hatte, der gegen das Versenken von Milliarden Euro Steuergeldern in ein bodenloses Fass war. Da haben auch schon alle Eliten und die, die sich dafür halten, ausgiebig diese Vokabel genutzt. Weit und breit keine Fremdenfeindlichkeit. Das war dann in Ermangelung besserer Argumente Europafeindlichkeit. Und ich stelle für mich fest, dass Herr Kurz in der Rhetorik der Germanistikprofessorin Heidrun Kämper schreibt, Populismus wäre nicht, den Euro in Frage zu stellen oder über Einwanderung zu diskutieren, nein, aber jeder, der es tut, nutze dieses Thema als Vehikel für einen grundlegenden Angriff.

Medien folgen Regierungslinie

Fakt ist: Es gibt falsche politische Entscheidungen. Nicht alle politischen Entscheidungsträger sind per se integer. Feindlichkeit gegenüber Medien gibt es nicht, weil sie kritisch sind, sondern weil sie es eben nicht sind und unisono einer Regierungslinie folgen. Achtsamkeit und Respekt für unsere Verfassung? Wird doch nur in Anspruch genommen, wenn es gerade politisch passt. Herr Kurz beklagt den Populismus, aber hat nicht die Politik dafür gesorgt, dass er überhaupt entstehen konnte? Von Armin Latell, Mannheim.

Ich habe den Gastbeitrag im "MM" von Herrn Kurz mit großem Interesse gelesen und kann dessen Meinung ohne Wenn und Aber unterschreiben. Auch die Neujahrsansprache am 6. Januar im Rosengarten von Herrn Kurz war ein Meilenstein. Nur darf man nicht dem Glauben verfallen, Schulbildung, Qualitätspresse und Fernsehen helfen weiter.

Ich selbst war beruflich und auch privat in vielen Ländern und pflegte guten Kontakt zu einem kleinen Teil der einheimischen Bevölkerung. Überall gab es Unwissen, Vorurteile, Nationalismus, man würde heute sagen Populismus.

Argumente prallen ab

Die sogenannten Populisten sind nicht unbedingt bildungsfern, arbeitslos, abgehängt, sondern im festen Glauben: Die da oben machen, was sie wollen, und lügen uns alle an. Wörter wie "Volksverräter" gehen ihnen leicht von den Lippen, ebenso werden die Qualitätsorgane bei Presse und Funk/Fernsehen als "Lügenpresse" verunglimpft. Noch so gute Argumente helfen nicht. Sie sitzen in ihrer vorgefassten Meinung in ihrem "Schneckenhaus" und alle noch so guten Argumente prallen ab.

Mehr Mitbestimmung, wie oft gefordert, hilft hier aber sehr wenig. Ich war selbst beruflich zwei Jahre in der Schweiz, und dort wird über fast alles abgestimmt und trotzdem ist die rechtspopulistische Partei am stärksten im Parlament vertreten. Meist liegt die Wahlbeteiligung unter 25 Prozent. Siehe Beispiele wie Trump, Putin, Erdogan, Le Pen, Wilders, Strache - sie werden von hohen Anteilen der Bevölkerung unterstützt und gewählt.

Diskussionen oft schlecht besucht

Zum Glück haben wir hier bei uns aus der Geschichte gelernt, so dass die demokratischen Parteien, die unser Land nach dem Krieg aufgebaut haben, noch weit in der Mehrheit sind. Ich selbst bin etwas politisch tätig und kann nur immer wieder betonen, die ganzen Diskussionen - auf der Straße oder per Telefon oder im Saal - sind meist von sehr wenigen Menschen besucht. Unsere Volksvertreter sind meist sehr wohl bürgernah und besser als ihr Ruf, nur wird das Angebot sehr spärlich angenommen. Von Albert Faißner, Mannheim.

Mannheim kann stolz sein, einen solchen Oberbürgermeister gewählt zu haben! (Der erste Leserbrief unseres Lebens!) Von Heidrun und Peter Holme, Mannheim.

Keiner weiß so ganz genau, von unserem Oberbürgermeister einmal abgesehen, was man unter Populismus beziehungsweise dem Vorwurf des Populismus versteht. Trotzdem wird der Begriff von nahezu allen politischen Akteuren und Medien bei passenden und unpassenden Gelegenheiten immer wieder als politischer Kampfbegriff verwendet, um politische Kontrahenten zu diskreditieren. Das ist zunächst deshalb überraschend, weil sich der Begriff Populismus vom lateinischen Begriff "populus", dem Volk, ableitet.

Was also ist konkret so diffamierend, wenn sich Politiker beziehungsweise Bürger des inzwischen zur politischen Keule aufgestiegenen Begriffes Populismus nach dem Motto "schlimmer geht es nimmer" bedienen, um den politisch Andersdenkenden zu beschädigen? Was ist andererseits falsch daran, wenn der politische Kontrahent sich einer bestimmten politischen Stimmung annimmt und sie politisch ausnutzt und vertritt? Geht in einer Demokratie die Macht nicht eigentlich vom Volk aus, oder bin ich da falsch informiert?

Einseitig und undifferenziert

Dem Populisten werden ohne nähere Begründung sehr problematische Verhaltensweisen angehängt. Populisten sind gegen die Demokratie, sind gegen die Eliten, vertreten nach eigener Meinung immer die Mehrheit der Bürger, und noch bösartiger, Populisten sind moralisch fragwürdige Figuren, die man besser meiden sollte. Mit so charakterisierten Bürgern und Bürgerbewegungen sollte man auch in Mannheim am Ende nicht wirklich diskutieren, so in etwa die Meinung auch unseres Oberbürgermeisters und der dominierenden politischen Klasse.

Will man nun den mündigen Bürger mit einer eigenen Meinung oder will man lieber den gehorsamen Zeitgenossen, der dem gewählten Politiker ohne Murren bedingungslos folgt? Die Antwort ergibt sich in einer Demokratie von selbst. Zu den einseitigen, sehr pauschalen und undifferenzierten Feststellungen zum Begriff Populismus gestatte ich mir deshalb kritische Bemerkungen unter Berücksichtigung der Mannheimer Kommunalpolitik.

Vertrauen hat abgenommen

Natürlich benutzt auch unser Oberbürgermeister die aus der Vergangenheit bekannten Klischees. Die Aggressivität in der politischen Auseinandersetzung habe angeblich zugenommen. Tatsache ist aber, dass in Mannheim die für die Demokratie lebensnotwendige kontroverse Diskussion schon vor Jahren abgeschafft wurde. Der Respekt, der Stolz und das Vertrauen in die Demokratie, ihre politischen Institutionen, die politisch Verantwortlichen, vor allem in den Oberbürgermeister, und ihre Arbeit haben dagegen dramatisch abgenommen.

Ja, aber das hat Gründe. Über die in Mannheim existierende Vertrauenskrise zwischen Bürger und Politik sollte auch Peter Kurz intensiv nachdenken. Natürlich haben wir Bürger das Recht, die Entscheidungen der Politik, wenn nötig, heftig zu kritisieren. Und auch das ist völlig unstrittiges Recht jedes Bürgers, er kann mit allen demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln gegen das antreten, was er für falsch hält.

Keine echte Opposition

Das gilt vor allem dann, wenn Mehrheitsentscheidungen im Gemeinderat unter sehr zweifelhaften Bedingungen zustande gekommen sind. Die seit Jahren in Mannheim existierende Allparteienkoalition vermittelt dem Bürger das Gefühl, in Mannheim tanzen am Ende doch alle nach seiner Pfeife.

Verstärkt wird dieses Gefühl noch dadurch, dass auch die Medien ihrer Pflicht zur Information und Kontrolle nur noch sehr eingeschränkt nachkommen. Sie sind auch in Mannheim Teil des Establishments geworden. Die in Mannheim aktiven Bürgerinitiativen stehen fast alle auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaates und lehnen jede Art von rechtswidrigem Verhalten ab.

Verbale Zuspitzungen (keine persönlichen Beleidigungen) aber sind Teil des Spiels und der politischen Auseinandersetzung. Das kann aber doch nicht heißen, dass die Bürgerinitiativen das Kämpfen für ihre Ziele einstellen. Sie bekämpfen die Demokratie nicht von innen, sondern sind Stabilisatoren unserer Gesellschaftsordnung. Sie nutzen die zum Glück in einer Demokratie zur Verfügung stehenden Wege und Mittel, um die Gesellschaft ehrlicher, gerechter und besser zu machen.

Mehr Volksentscheide

Die Demokratie muss im Interesse von uns Bürgern deshalb weiterentwickelt werden. Die den Volksvertretern durch Wahlen für viele Jahre ausgestellten Blankoschecks müssen bald der Vergangenheit angehören. Die Politik wird sehr viel häufiger um die Zustimmung der Bürger kämpfen müssen. Zugegeben, Politik wird damit schwieriger, teurer, zeitaufwendiger, komplizierter. Aber sie wird auch besser, gerechter und ehrlicher. Die Mehrheit der Bürger will in Zukunft sehr viel häufiger direkt mitentscheiden. Ohne diese notwendigen Anpassungen wird unsere Demokratie in der heutigen Form nicht überleben. Von Klaus Brückner, Mannheim.

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