Boom-Städte und verödende Landschaften

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Zur Debatte „Ist die Krise der Demokratie eine Krise des Vertrauens, Herr Lammert und Herr Vormann?“ vom 20. Januar:

Eine wahnsinnig gute Situationsbeschreibung, von so einer Art von Artikeln gerne mehr. Dafür zahlt man gerne sein Abo, wirklich spitze. Zeigt auch, dass guter Journalismus einen Wert hat. Mehr davon.

Die beiden Politologen Lammert und Vormann analysieren nach meiner Ansicht in zutreffender Weise, dass es nationenübergreifend in westlich geprägten Ländern wie den USA, Frankreich oder Deutschland gemeinsame Ursachen für die Krise der Demokratie gibt, dass es aber auch jeweils nationale Eigentümlichkeiten der Krisen gibt.

Zu den übergreifenden gemeinsamen Ursachen gehören sicher die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sowie die soziale und berufliche Perspektivlosigkeit der Mittelschicht sowie der unteren Mittelschicht in der Bevölkerung der westlichen Länder und die daraus resultierende Sorge vor einem sozialen Abstieg. Hinzu kommt die diffuse Angst vor einer ungebremsten Massenzuwanderung und Überfremdung im eigenen Land, was dann dazu führt, dass Politiker wie Trump, der verspricht, eine Mauer zu Mexiko zu bauen, oder rechtsgerichtete Parteien wie der Front National in Frankreich Auftrieb erhalten.

Auch dies betonen ja die beiden Politologen in ihrem Artikel. Spezifische besondere Ursachen der Krise der Demokratie in Deutschland sehe ich zum Beispiel in der wachsenden Kluft zwischen boomenden großen Städten wie München oder Leipzig und zunehmend verödenden Landschaften in den neuen Bundesländern, wo die Menschen sich zunehmend abgehängt und nicht mehr gehört fühlen. Ferner muss man klar sehen, dass viele Menschen spüren, dass die etablierten Parteien seit Jahren auf essenzielle, die Bürger betreffende Probleme wie den Notstand in den Pflegeberufen, die Probleme der explodierenden Wohnungsmieten in den Städten oder die große Straßen- und Einbruchskriminalität keine befriedigenden Antworten finden.

Keine Abstimmung zum Euro

Hier muss der Staat Handlungsfähigkeit zeigen oder zurückgewinnen, die der Bürger im Alltag auch spürt. Das gilt auch für die soziale Not vieler Menschen in den Ballungsgebieten. Einer Demokratie tut es auch nicht gut, wenn zu wichtigen Schlüsselentscheidungen, die das Leben der Bürger beeinflussen, nie die Bürger befragt werden. In Deutschland hat es nie eine Volksabstimmung gegeben, ob die Bevölkerung den Euro will oder nicht. Auch die ständige Übertragung weiterer nationaler politischer Kompetenzen auf die europäische Ebene, ohne die Menschen mitzunehmen, halte ich für bedenklich, weil die Politik doch bürgernah bleiben soll.

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2DJEoAN

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