Luther wie ein Hassprediger

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"Das Paradies ist überall" steht in Berlin im Lustgarten auf einem roten Tor vor dem Berliner Dom. Das Tor ist Bestandteil einer Open-Air-Ausstellung anlässlich des Reformationsjubiläums.

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Zum Artikel "Martin Luthers dunkle Seite" vom 17. März:

Luther. Er hat die Bibel ins Deutsche übertragen und er war damit einer der intimsten Kenner dieses Buches. Luther, der Reformator, der für sich in Anspruch nahm, den richtigen Weg zu Gott gefunden zu haben. Er verband damit sowohl das Recht als auch die Pflicht, die damalige römische Amtskirche auf diesen, von ihm als recht erkannten Weg zurückzuführen.

Zu Luther gehören aber auch seine antijüdischen Schriften, gleich, ob man diese als antijudaisch oder antisemitisch bezeichnet. An dieser Stelle muss man sich jedoch fragen: Entspricht diese zutiefst antijüdische Haltung Luthers, die kein einmaliger, zufälliger "Ausrutscher" war, eigentlich noch der christlichen Botschaft? Die Kernbotschaft des Christentums lautet "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst". Dieses schutzzielorientierte Gebot regelt das grundsätzliche Verhalten der Menschen untereinander.

Es bedeutet, dass sich die Menschen in Gewaltlosigkeit begegnen sollen. Christus hat dieses Prinzip nicht nur verkündet, sondern er hat es auch in radikaler Konsequenz vorgelebt. So wurde er - obgleich unschuldig - verurteilt und schließlich hingerichtet. Sehr wohl um dieses Unrecht wissend, hat er sich dennoch nicht dagegen zur Wehr gesetzt.

Nimmt man nun Christus selbst als Maßstab des christlichen Handelns, so stellt man fest, dass die antijüdische Haltung Luthers nicht der christlichen Botschaft entspricht. Man ist überrascht, dass der intime Bibelkenner und Reformator Luther, der vorbildliche Christ, das "Über-Ich" der evangelischen Kirche, der voller Inbrunst verkündete "Allein der Glaube macht selig", hinsichtlich der Juden absolut unchristlich handelte.

Nach heutigen Maßstäben würde man Luther sogar als Hassprediger einstufen müssen. Man ist noch mehr überrascht, dass die Amtskirche nach 500 Jahren diesen Kardinalfehler Luthers immer noch nicht erkannt hat oder erkennen will. Vielleicht sollte man doch noch mal darüber nachdenken, was Christus wohl mit seiner Botschaft gemeint hat: Soll man den Feinden gegenüber christliche Nächstenliebe üben oder soll man den Feind erst erschlagen und dann auf Sündenerlass durch Gottes Gnade hoffen?

Was die lutherische "Zwangsmissionierung" der Juden anbetrifft, so ist anzumerken, dass Christus es jedem einzelnen Menschen überlassen hat, sich zu entscheiden, ob er seiner Lehre folgen möchte oder nicht. Christus hat niemanden gezwungen, Christ zu werden.

Die freie Entscheidung jedes einzelnen Menschen ist das andere wesentliche Grundmerkmal des Christentums. Offensichtlich hatte Luther auch zu diesem Punkt eine sehr eigene und eigenwillige Interpretation, zumindest was die Missionierung der Juden angeht. (Martin Lietz, Sinsheim)