So denken Leser über Erdogan und die Volksabstimmung

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Eine Frau steht mit ihrem türkischen Pass zur Stimmabgabe an einem Wahllokal an. Zur türkischen Volksabstimmung waren auch 1,43 Millionen wahlberechtigte Türken in Deutschland aufgerufen.

© dpa

Zur Berichterstattung über das Referendum in der Türkei und zum Kommentar "Sieg des Spalters" vom 18. April

Ich stimme Ihren Beurteilungen im Kommentarartikel voll zu. Als Beweis für eine Mitgliedschaft eines Militärregimes in der NATO führen Sie Griechenland an. Sie nennen dafür aber keine Gründe. Das ist völlig richtig, aber meine Generation (1943) kennt die Zusammenhänge (ich habe in 1967 im Sommer eine sechswöchige Reise in die Länder Jugoslawien und Griechenland unternommen), der Putsch in Griechenland war vom CIA organisiert, da die Griechen dummerweise links gewählt hatten. So wird es auch für eine Diktatur unter Erdogan kein Problem bleiben, denn mit seiner enormen Streitmacht bleibt er USA-hörig. Trump hat dies ja praktisch mit seiner Gratulation schon bestätigt. (Horst Kußmann, Bensheim)

Nun ist es also amtlich. Erdogan hat endlich seine Wahl gewonnen. Was aus meiner Sicht allerdings sehr erschreckend ist, ist die Tatsache, dass viele hier in zweiter und dritter Generation lebenden Türken, für ihn gestimmt haben. Was Deutschland ihnen als Gastland bedeutet, haben sie mit ihrer Ja-Stimme eindrucksvoll dokumentiert. Sie interessieren sich nur für ihre politische Heimat. Und von Deutschland picken wir uns sowieso nur die Rosinen raus, die für uns nützlich und von materiellem Wert sind. Integration bekommt somit eine ganz eigene Note. (Gunter Engert, Mannheim)

Einst fragte Statthalter Pilatus die Volksmenge, ob er Jesus denn mal ans Kreuz schlagen solle; die schrie: Ja, Ja, Ja! Später fragte der Braune Teufel Goebbels eine Menge Volkes, ob es wohl einen totalen Krieg möge; die schrie: Ja, Ja, Ja! Am Sonntag fragte ein rot umflaggter Erdogan erst gar nicht. Die Menge, die an seinen Lippen hing, schrie schon von selbst: Die Todesstrafe! Die Todesstrafe! Leider konnte Erdogan die fanatischen deutschen Ein- und Doppelpässler nicht sehen, die hier in den Straßen johlten. Ab mit Euch! Und nehmt die Kopftücher Eurer Frauen mit, damit Ihr Euch den Schweiß abwischen könnt, beim Bau der vielen Galgen. (Jürgen Althoff, Ludwigshafen)

Für eine ganze Reihe von Deutsch-Türken, aber auch für die deutsche Politik, stehen nun doch einige wichtige Fragen an. Inwieweit konnte unsere Gesellschaft die hier lebenden Türken wirklich "mit ins Boot nehmen"? Und wie wurde das praktiziert? Woran hapert es? Das Ganze gilt so auch umgekehrt für die hier lebenden Türken. Inwieweit wollen und können sie sich auf das hiesige Gesellschaftssystem einlassen? Warum fällt es vielen immer noch so schwer, sich der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit anzunehmen? Warum verordnet man sich ständig TV-Sendungen aus der Türkei? (Manfred Fischer, Mannheim)

Ich möchte nichts bewerten oder beurteilen oder verurteilen - nur feststellen: 60 Prozent der hier wählenden Türken haben für die Verfassungsänderung in der Türkei gestimmt. Ich frage mich nur - wissen sie was sie getan haben - nach einem derartig schmutzigen Wahlkampf, insbesondere gegen Deutschland und die Deutschen? Moslems reden so gerne von ihren Brüdern und Schwestern - sie leben hier in Freiheit und allen Annehmlichkeiten und geben ihre Brüder und Schwestern durch ihre Stimme bei der Wahl einem Menschen, der als erstes die Todesstrafe einführen will. Das ist Verrat erster Güte an den "Brüdern und Schwestern". Und was passiert mit all den Menschen, die ihn nicht gewählt haben? Sie haben Angst. Und schauen wir uns als eines von vielen Beispielen den Tourismus an. An den wunderschönen Küsten um 50 Prozent eingebrochen, viele Menschen dort sind ohne Arbeit. Und wenn Integration oft genug scheitert, dann liegt es verdammt nochmal nicht immer an uns. Auch lohnt es sich über die doppelte Staatsbürgerschaft mal gründlich und ernsthaft nachzudenken. Wer hat es uns nochmal eingebrockt? Und alle, die die Türkei so lieben, können ja zurückgehen. Deutschland hat noch niemanden festgehalten. Gerade jetzt zurückzugehen könnte ein besonderer Spaß werden. (Petra Stacha, Mannheim)

Alle in Deutschland lebenden Türken, die pro Erdogan gewählt haben, sollten in ihre ehemalige Heimat zurückkehren. (Ludwig Kaiser, Mannheim)

Frau Özoguz behauptet, nur 14 Prozent, der in Deutschland lebenden Türken hätten mit "Ja" gestimmt. In der rechts daneben stehenden Infotafel steht, dass 1 430 000 in Deutschland lebende Türken wahlberechtigt sind. Davon 14 Prozent wären also nur 200 200 Ja-Stimmen. Bei einer Wahlbeteiligung von 48,7 Prozent und 63 Prozent Ja-Stimmen, kann man jedoch unschwer ausrechnen, dass es 439 000 Ja-Stimmen gewesen sein müssen (Zahlen jeweils gerundet), also mehr als doppelt so viel! Diese Diskrepanz hätte jedem Redakteur bei einer kleinen Überschlagsrechnung auffallen können. (Dr. Maria Lang, Bensheim)

Anmerkung der Redaktion: Frau Lang hat Recht. Unsere Interviewpartnerin hat leider eine falsche Zahl genannt - und wir haben diese übernommen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Nun endlich sehen auch Sie, Herr Lübke, den mächtigen Mann am Bosporus in seiner ungeschönten, ungeschminkten Gestalt. Davon einmal abgesehen, dass mich persönlich das Ergebnis nicht überrascht hat, halte ich Ihren Erklärungsversuch nicht nur für nicht überzeugend, sondern falsch. Das Ergebnis zeigt nicht, dass Integration ein langer Prozess ist, sondern dass dieser schon lange andauernde Prozess, mittlerweile schon in der 3. oder 4. Generation, zum großen Teil nicht funktioniert hat. Der kleinere Teil der Integrierten und Hayir (Nein)-Wähler hat das Ergebnis nicht ändern können.

Die Lunte, die dieser Präsident nach Deutschland gelegt hat, wie Sie schreiben, Herr Lübke, glimmt nicht mehr nur stark, sie hat doch das Pulver bereits erreicht. Genau das halte ich für eine realistische Gefahr für unsere Demokratie. Und Sie wollen darauf achten, dass unsere Toleranz nicht bis zur Selbstaufgabe unserer Werte führt? Ist das noch Ironie oder schon Sarkasmus? Ohne auf die Rolle der Türkei im Kampf gegen den IS und den islamistischen Terror einzugehen, werden die USA davon unabhängig am Nato-Partner Türkei festhalten, da spielt im globalen Machtkampf so ein Referendum keine Rolle. Wir dürfen gespannt sein, wie es mit unseren Soldaten und ihrer Mission in Incirlik weitergeht. So wie wir unsere Verantwortlichen in Berlin kennen, darf man wohl vermuten: wie bisher. Ja, Herr Lübke, der Kater am Morgen danach ist immer schmerzlich.  (Armin Latell, Mannheim)

Nach dem Schock über das Ergebnis der Abstimmung bei den hier lebenden Türken war es erfreulich, in dem Kommentar Dirk Lübkes zu lesen, dass Toleranz nicht Selbstaufgabe bedeute. Leider währte die Freude nur kurz. Am nächsten Tag spulte Madeleine Bierlein unter dem bezeichnenden Titel "Leisere Töne nötig" die alte Leier herunter: Wir Deutschen, korrekter: wir, die hier schon länger leben, sind schuld an der überwältigenden Mehrheit der Ja-Sager (nahezu zwei Drittel derer, die ihre Stimme abgegeben haben). 

Aus einem von tendenziösen Aussagen strotzenden Artikel will ich nur drei herausgreifen:

1. Der Begriff "Leitkultur" stammt von Bassam Tibi. Mit diesem Begriff will er (immer noch) ein kulturelles System beschreiben, in dem Rechtsstaat, Menschenrechte und Demokratie die höchsten Werte darstellen. Was ist falsch daran, von Menschen, die nach Deutschland migrieren und hier leben wollen, zu verlangen, dass sie sich dieser Leitkultur unterordnen? Wenn Frau Bierlein behauptet, aufgrund ihres kulturellen und religiösen Hintergrunds dieser Leitkultur nicht zustimmen zu können, warum sollen wir, die hier schon länger leben, dann mit diesen Befürwortern einer kulturell-religiösen Diktatur, um es vorsichtig auszudrücken, zusammenleben und letzten Endes unsere Werte aufgeben?

2. Integration ohne Assimilation ist ein Unding, gewissermaßen ein totgeborenes Kind. Wie beim ersten Punkt stellt sich dasselbe Problem: Jemand, der in Deutschland leben, aber sich nicht an die gegebenen Regeln und Einstellungen im weiteren Sinne (zum Beispiel Gleichberechtigung aller Menschen) anpassen will, schließt sich nicht nur zwangsläufig aus der deutschen Gesellschaft aus. Der gesunde Menschenverstand fragt sich ebenso, warum dieser Migrant überhaupt nach Deutschland kommt.

3. Deutschland war und ist kein Einwanderungs-, sondern ein Zuwanderungsland. Ein Einwanderungsland besteht nämlich eindeutig auf Kriterien, die in etwa den beiden genannten Punkten (Loyalität zur Leitkultur; Assimilation) entsprechen und die von jedem Einwanderer erfüllt werden müssen.

Asylrecht anpassen

Deutschland dagegen nimmt alle und jeden auf, alle, die überhaupt hier eintreffen, und gewährt ihnen auch ohne große Hindernisse die Staatsbürgerschaft. Das sind die Merkmale eines Zuwanderungslandes, die sich in den Forderungen deutscher Politiker an diejenigen, die schon länger hier leben, widerspiegeln: Die noch nicht so lange hier sind, können hier leben, wie sie wollen, und ihr müsst euch anpassen!

Im Gegensatz zu Frau Bierlein bin ich nicht der Meinung, dass Deutschland mittlerweile eindeutig ein Einwanderungsland geworden ist. Ich würde mich vielmehr freuen, wenn Deutschland endlich ein Einwanderungsland in dem beschriebenen Sinne werden würde. Dazu gehört allerdings unter anderem auch, dass das in der ganzen Welt als Irrweg betrachtete deutsche Asylrecht definitiv an akzeptierte völkerrechtliche Vorstellungen angepasst wird. (Gunter Zimmermann, Oftersheim)