Beschneidungen - "Kinderhilfe warnt", Bericht vom 16. 7. Ein nicht zu behebender Eingriff

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Streitfall Beschneidung: Das Kölner Landgericht hat sie als strafbare Körperverletzung gewertet und damit international einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

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Wenn die Bundeskanzlerin im Zusammenhang mit dem Circumcisionsurteil des Kölner Landgerichts erklärt, sie wolle nicht, dass Deutschland das einzige Land der Welt sei, das den Juden die Ausübung ihrer Riten untersage, zeugt dies von wenig Kenntnis des weltweiten Diskussionsstandes. Bei einer allerdings dringend nötigen gesetzlich verbindlichen Klärung des Sachverhalts sollte u. a. Folgendes bedacht werden:

Auch die christlichen Religionen praktizieren mit der Taufe eine Art "Initiationsritus". Doch ist die Beschneidung mit der christlichen Taufe insofern nicht zu vergleichen, als diese a) die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit des Täuflings in keiner Weise beeinträchtigt und b) zudem durch den volljährig gewordenen Getauften jederzeit widerrufen, mithin rückgängig gemacht werden kann.

Demgegenüber erfolgt durch die rituelle Beschneidung ein nicht zu behebender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes, an dessen Resultat auch die Willensbekundung des mündig gewordenen und damit zu selbstständiger Entscheidung berechtigten und befähigten Beschnittenen nichts mehr zu ändern vermag.

Selbst bei Abwendung von der Zugehörigkeit zur jüdischen und/oder muslimischen Religionsgemeinschaft wird das Resultat der Beschneidung den Betroffenen jederzeit als Juden und/oder Muslim identifizierbar und damit diskriminierbar machen. Man denke an die Judenverfolgung des Nationalsozialismus, wobei das leicht erkennbare Zeichen der Beschneidung jeden Versuch vereitelt hat, sich dem Zugriff der Gestapo zu entziehen.

Diffamierung der Justiz

Die von jüdischer Seite geäußerte Behauptung, die Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung zu untersagen sei eine Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland, ist eine reine Schutzbehauptung. Wenn Pincas Goldschmidt, Präsident der europäischen Rabbiner, das Urteil den "vielleicht gravierendsten Angriff auf jüdisches Leben in Europa nach dem Holocaust" nennt, dürfte dies nur dazu beitragen, latent vorhandenen Antisemitismus noch zu verstärken. Das Urteil des Kölner Landgerichts mit der Unmenschlichkeit des Holocaust in Verbindung zu bringen, ist als bewusste Diffamierung der deutschen Justiz inakzeptabel.

Das vom Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen wird durch den ohne Wissen und Willen des Betroffenen durchgeführten Akt der Beschneidung verletzt. Die grundgesetzlich ebenfalls garantierte Erziehungsfreiheit der Eltern hat gegenüber dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zurückzustehen. Das Landgericht Köln hat in der Begründung des Urteils vom 7. Mai 2012 einleuchtend dargelegt, dass durch die Verschiebung der Beschneidung bis zur selbstständigen Entscheidung des mündig gewordenen Kindes keine wesentlichen Nachteile entstehen.

Die Beschneidung wird im Koran weder erwähnt noch gefordert. Wenn im Judentum die Beschneidung zur absoluten Grundlage jüdischen Glaubens gemacht und an unmündigen Kindern praktiziert wird, bedeutet dies, den Betroffenen jede Möglichkeit zur eigenen Willensäußerung zu nehmen. Darin wird man einen noch stärkeren Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Freiheit und Unverletzlichkeit des Individuums sehen dürfen als in der bloßen Entfernung des Präputiums.

Mit Unterzeichnung und Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention 1990 hat sich Deutschland verpflichtet, "alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen [zu treffen], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen" (Art. 24).

In der 59. Auflage (2012) des Standardkommentars zum Strafgesetzbuch von Thomas Fischer wird die bisher herrschende Meinung, die religiös motivierte Zirkumzision Minderjähriger erfülle nicht den Straftatbestand der Körperverletzung, zurückgewiesen, die Tatbestandmäßigkeit hingegen bejaht und die Frage, ob die Einwilligung der Sorgeberechtigten die Rechtswidrigkeit beseitige, im Hinblick auf § 228 als umstritten dargestellt.

Einwilligung unwirksam

Seit 2002 wird in einer Reihe juristischer Publikationen von Kinderchirurgen, Kinderneurologen, Medizinethikern, Pädiatern und Juristen die Rechtmäßigkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen angezweifelt.

Schon im August 2007 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main festgestellt, dass die Entscheidung über eine Beschneidung wegen der "körperlichen Veränderung, die nicht rückgängig gemacht werden kann, [...] in den Kernbereich des Rechtes einer Person [fällt], über sich und ihr Leben zu bestimmen."

In Teilen der neueren Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Beschneidung als Körperverletzung nach § 223 StGB auch dann strafbar sei, wenn die Personensorgeberechtigten in die Beschneidung eingewilligt haben. Diese Einwilligung sei unwirksam, weil der Eingriff nicht dem Wohl des Kindes (§ 1627 Satz 1 BGB) entspricht, den Inhabern der Personensorge also die Dispositionsbefugnis über das Rechtsgut der körperlichen Integrität fehlt.

Schließlich sollte auch die Diskussion der Rechtslage in anderen europäischen Ländern bedacht werden.

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