Kochen mit Tradition

Von 
ULLA CRAMER
Lesedauer: 

Man schrieb das Jahr 1848, eine Revolution schüttelte das Land, als der gelernte Müller Konrad Gaul im beschaulichen Waldhilsbach, einem Ortsteil von Neckargemünd, eine Gaststätte eröffnete. Doch die Existenzgründung stand unter keinem guten Stern. Schlechte Ernten führten zu Hungersnöten, für einen Besuch im Gasthaus fehlte vielen Leuten das Geld. Und so schloss Konrad Gaul fünf Jahre später seinen Gasthof und verließ das Dorf. Doch die Geschichte des "Rössl" - eine Bezeichnung, die die Gaststätte in Anlehnung an den Familiennamen Gaul erhielt - war damit noch nicht beendet.

Die Zeiten besserten sich. Der Gastwirt, inzwischen Vater von sechs Kindern, kehrte in seine Heimat zurück und startete im Frühjahr 1857 einen zweiten Versuch als Gastronom. Und dieses Mal war er erfolgreich. Der Landgasthof wurde ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt und ist es bis heute geblieben. Gleich drei Nachfolger von Konrad Gaul lenkten als Bürgermeister die Geschicke von Waldhilsbach - ein deutliches Signal, welchen Stellenwert das "Rössl" im Ort hat.

Vor allem vor und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war Waldhilsbach das Ziel vieler Familien und Schulklassen vor allem aus der Industriestadt Mannheim, die sich in der gesunden Luft des Odenwalds erholen und entspannen wollten. "Damals gab es noch fünf Restaurants und unser Ort hatte den Spitznamen Waldfressbach", sagt Jochen Hauck, der das Restaurant heute in sechster Generation führt und der Küchenchef ist. "Besonders beliebt waren die Forellen, die die Wirte damals noch direkt aus dem Hilsbach holten, der an ihren Gasthöfen vorbeifloss."

Anfangs diente das Gasthaus zudem noch als Poststation, in der die Pferde der Postkutschen gewechselt wurden. "Es ist noch gar nicht so lange her, da bezeichneten unsere Servicekräfte den ersten Tisch am Eingang als Posttisch, denn dort wurden die Briefe und Pakete, die die Postkutschen mitbrachten, gestapelt und verteilt", sagt Hauck.

Dass Hauck mittlerweile die sechste Generation verkörpert, "das hätte sich Konrad Gaul wahrscheinlich nicht träumen lassen". Der gelernte Koch hat vor rund zehn Jahren in Heidelberg den Meisterbrief erworben. Er verwöhnt die Gäste neben Odenwälder Spezialitäten wie gekochter Ochsenbrust mit süß-sauren Früchten auch gerne mit kulinarischen Highlights wie Kaninchenrücken in Brot gebraten oder Tatar vom Wildfang-Gamba mit Spargel und Hagebutten - und gerade die Kombination zwischen traditioneller regionaler Küche und exotischen kulinarischen "Ausflügen" macht für viele Gäste den Reiz eines Besuchs in seinem Restaurant aus.

Der junge Koch will mit seinen Rezepten dafür sorgen, dass der Landgasthof eine erfolgreiche Zukunft hat. "Ich bin im Rössl aufgewachsen, habe mit Spülen und Abräumen mein Taschengeld aufgebessert", sagt er. "Eigentlich war von vorneherein klar, dass ich nach meiner Ausbildung in verschiedenen renommierten Restaurants wieder nach Hause zurückkehre."

Heute verantwortet Jochen Hauck die Küche im "Rössl", während sein Vater ihn bei der Verwaltung und beispielsweise der Buchhaltung unterstützt. "Wir arbeiten Hand in Hand", so Hauck, der gerade diesen Zusammenhalt schätzt. "Auch wenn sich unsere fünf Mitarbeiter sehr engagieren, als Familie ist man doch mit mehr Herzblut dabei", weiß er. "Und das Thema ist halt nicht vom Tisch, wenn man abends nach Hause fährt." Dass das Landleben und die damit verbundene Tradition aktuell eine Renaissance erlebt, freut ihn. "Wir richten zahlreiche Feiern für Familien und Unternehmen aus und haben viele Stammgäste. Sie mögen die Authentizität und die Geschichte, die unser Haus vermittelt." Und wie sieht es mit der siebten Generation beim "Rössl" aus? "Das muss die Zukunft bringen", sagt Hauck. "Unsere Kinder sind erst drei und sechs Jahre alt - und werden selber entscheiden, welchen beruflichen Weg sie einschlagen."

Mehr zum Thema

Ernährung Kitas macht Verzicht auf Zusatzobst „sprachlos“

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Ernährung Kein frisches Obst mehr für Mannheimer Schulen und Kitas

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Copyright © 2024 Mannheimer Morgen