Behindertengerechte Fahrzeuge

Uneingeschränkt mobil

Von 
Sarah Weik
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Melanie Fischer blickt noch etwas skeptisch auf den Joystick neben sich. Sie nimmt den schwarzen Steuerknüppel zwischen Zeige- und Mittelfinger. Zwischen die Finger, die ihr am besten gehorchen. Sie drückt den Joystick nach vorn und bremst in Gedanken mit, dann zieht sie ihn zu sich und im Fußraum senkt sich das Gaspedal. Die 29-Jährige atmet tief durch. "Also meinen Rollstuhl zu bedienen, ist da einfacher."

Mobilcenter Zawatzky

Das Mobilcenter Zawatzky gehört zu den führenden Umrüstern behindertengerechter Fahrzeuge in Europa und ist Gründungsmitglied der European Mobility Group (EMG), in der sich Umbaufirmen zusammengeschlossen haben.

Zum Mobilcenter gehört auch die Fahrschule Zawatzky in Neckargemünd, sie ist spezialisiert auf die Ausbildung von mobilitätseingeschränkten Menschen.

Der Stammsitz ist seit 1995 in Meckesheim, seit 2008 gibt es eine Niederlassung in Köln, außerdem Servicepartner im In- und Ausland.

Rund 750 Fahrzeuge werden im Jahr in Meckesheim umgebaut. Der Umbau dauert zwischen zwei und acht Wochen und kostet zwischen 2000 und 45 000 Euro.

Das Auto bezahlen die Kunden, den Umbau übernehmen in bestimmten Fällen Kostenträger wie Berufsgenossenschaften oder Sozialämter - sofern der Kunde eine Arbeitsstelle hat. swk

Fischer hat eine Tetraspastik, ihre Arme und Beine sind gelähmt. Die Ursache: "Sauerstoffmangel bei der Geburt". Während die Beine ihren Dienst fast vollständig verweigern, lassen ihr die Arme und Hände noch etwas Bewegungsfreiheit. Genug, um ihren Rollstuhl zu bedienen. Und in dieser Woche will sie herausfinden, ob es auch genug ist, um Auto zu fahren. Fischer träumt davon, ein selbstständiges Leben zu führen und endlich einmal alleine in den Urlaub zu fahren. Wohin ist ihr egal. "Einfach weg."

Die 29-Jährige sitzt in einem Fahrschulauto vor dem Mobilcenter Zawatzky in Meckesheim, 20 Kilometer südöstlich von Heidelberg. Sie kommt eigentlich aus Bonn. Während der Führerschein-Probewoche wohnt sie mit ihren Eltern in einer Wohnung des Unternehmens. Denn viele Möglichkeiten gibt es für Menschen wie Fischer nicht, Auto fahren zu lernen. Und falls sie den Führerschein bekommt, hat sie bei Zawatzky zudem die Möglichkeit, ein Auto ganz nach ihren Bedürfnissen umbauen zu lassen.

Zawatzky ist Spezialist für Behindertenfahrzeuge und Fahrhilfen. Das Unternehmen mit 35 Mitarbeitern liefert Autos nach England, in die USA und nach Brasilien. Selbst Stephen Hawking fährt in einem Auto, das in Meckesheim umgebaut wurde - in einem Chrysler Grand Voyager, bei dem der Physiker in seinem Rollstuhl über eine Rampe bis vor auf die Beifahrerseite fahren kann. "So kann er tatsächlich mitfahren, statt irgendwo hinten im Kofferraum zu sitzen", erklärt Geschäftsführer Andreas Zawatzky.

Vor 52 Jahren hat sein Vater Rudolf Zawatzky den Grundstein für das Unternehmen gelegt - mit einer Fahrschule. Den Kfz-Mechaniker und Fahrlehrer aus Zwickau verschlug es beruflich nach Neckarsteinach. Dort traf er überraschend einen alten Freund wieder, Eberhard Franz. Dieser hatte bei einem Arbeitsunfall beide Arme verloren und wollte wieder Auto fahren. Eine Fußlenkung hatte Franz bereits selbst erfunden, doch niemand wollte ihm einen Führerschein geben. "Das war damals beim TÜV noch eine Riesenhürde", erzählt Marketingleiter Bernd Schulz. Mit Hilfe seines neuen Fahrlehrers Rudolf Zawatzky schaffte er es dennoch - als erster "Ohnarmer" weltweit.

Die Anfragen häuften sich, auch die Orthopädische Universitätsklinik schickte ehemalige Patienten zu Zawatzky. 1967 baute er dann das erste Auto um. Schulz zeigt auf ein Bild im Flur. Eine Gartenhütte. "Das war die erste Werkstatt." Er grinst.

Heute ist sie um einiges größer. Gerade arbeitet das Werkstatt-Team an elf Autos parallel. Es riecht scharf nach Benzin. "Bei großen Umbauten werden die Fahrzeuge, die fabrikneu hier ankommen, erstmal komplett aufgesägt." Teils muss der Tank weichen, der Auspuff neu verlegt werden.

Viele Kastenwagen stehen hier. "Die bieten viele Möglichkeiten", sagt Schulz. Im hinteren Teil der Werkstatt steht jedoch auch eine Limousine: die neue Mercedes S-Klasse mit einer Innenausstattung aus Echtleder. Die gehöre einem Bauunternehmer, erzählt Schulz, ein Contergan-Opfer. Das Auto wird so umgebaut, dass der Mann es mit seinen verkürzten Armen per Joystick steuern kann. Jeder Umbau, der bei Zawatzky vorgenommen wird, ist einmalig. Auf der rechten Seite steht das Auto einer kleinwüchsigen Frau mit einem Sechs-Wege-Sitz und Joystick. Der Caddy wurde innen "tiefergelegt", um Platz für eine Rampe zu machen. "So kann sie von hinten in das Fahrzeug fahren und dann auf den Fahrersitz umsteigen, der in jede Richtung einstellbar ist." Die Frau besitzt also noch so viel Kraft, um selbst auf den Sitz zu kommen. Beim nächsten Fahrzeug fehlt der Sitz - der Kunde kann hier mit seinem Rollstuhl direkt hinter das Lenkrad rollen. "Er hat also noch genügend Kraft in den Armen, um das Lenkrad zu bedienen, ist aber auf den Rollstuhl angewiesen", analysiert Schulz.

Auch um den Rollstuhl zu verstauen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Im Kofferraum natürlich. Oder in einer Dachbox. Schulz steht vor einem Auto und hält eine Fernbedienung in der Hand. Auf Knopfdruck öffnet sich der Kofferraum, ein Roboterarm hievt den Rollstuhl heraus, lässt ihn um das Auto herum bis an die Fahrerseite schweben und klappt ihn dann auf. "Bereit zum Umsteigen."

Damit das Auto am Ende tatsächlich maßgeschneidert ist, sind viele Gespräche, viele Tests nötig. Schulz deutet auf einen Autositz, der vor einem Armaturenbrett mit Lenkrad und Pedalen steht - das Kraftmessmobil. "Hier testen wir, wie viel Kraft die Kunden in ihren Beinen, den Zehen, den Armen und Fingern noch haben. Oder wie weit sie noch lenken können." Dabei sind es längst nicht nur behinderte Menschen, die bei Zawatzky ihr Auto umbauen lassen. "Es kommen auch immer mehr ältere Menschen."

Viele Umbauten sind eigene Entwicklungen. "Über die Jahre haben wir ein enormes Know-how angesammelt", sagt Zawatzky. Unter der Marke Centervan etwa werden seit 2008 Chrysler Voyager (jetzt Lancia) in eigener Regie umgebaut. Die neuste Entwicklung des Unternehmens: In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern am European Media Laboratory (EML) in Heidelberg entstand eine Sprachsteuerung für Funktionen wie Blinker, Licht oder Klimaanlage. Mit dem Befehl: "Blinken links!" setzt das Auto automatisch den linken Blinker. 50 Sprachbefehle verstehen die Fahrzeuge mittlerweile - übrigens auch auf Pfälzisch oder Schwäbisch.

Melanie Fischer ist am Ende ihrer Probewoche schon deutlich sicherer - so sicher, dass ihr Fahrlehrer sie für fit genug hält, den Führerschein zu machen. Sie habe mittlerweile auch einen Job, erzählt sie. Beim Deutschen Roten Kreuz in Bonn teilt sie den Fahrdienst ein. Eine Voraussetzung dafür, dass die Kosten für den Umbau ihres Autos übernommen werden. Ihres Autos. Fischer lächelt.

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