Flüchtlingskrise Deutschlands Versäumnisse sind blamabel

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Für blamabel hält Ex-Landrat Wilkes die deutsche Entwicklungspolitik.

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Zum Leserbrief "Europa hat Handlungsfähigkeit bewiesen" im BA vom 2. Oktober

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium stellt in seinem Leserbrief zum Thema "Flüchtlinge" fest, dass "wir noch mehr als bisher die Fluchtursachen bekämpfen müssen, um den Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive zu geben". Ferner weist er daraufhin, dass der Bund und insbesondere das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Mittel auf die Bekämpfung der Fluchtursachen konzentrieren werde.

Diese Ausführungen verwischen die politische Realität: Im Jahr 2000 hat Deutschland neben anderen EU-Staaten die "Milleniumsentwicklungsziele" unterschrieben. Danach hat sich die Bundesregierung, wie die anderen Staaten, selbst auferlegt, bis zum Jahr 2015 - also heute - 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Hilfe in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen, um diesen bei der Verbesserung ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur zu helfen.

Der Bund hat diese Verpflichtung in keinem der zurückliegenden Jahre auch nur annähernd erfüllt. Er hat in diesen Jahren im Durchschnitt nur etwa die Hälfte seiner versprochenen Mittel tatsächlich zur Verfügung gestellt, so beispielsweise 2013 nur 0,38 Prozent, 2014 nur 0,41 Prozent. In diesem Jahr, das uns die gesamte Flüchtlingskatastrophe endgültig auch in Deutschland vor Augen geführt hat, fehlen von der versprochenen Summe allein rund zehn Milliarden Euro.

Vor dem Hintergrund, dass sich derzeit global rund 60 Millionen Menschen vor Krieg und Elend auf der Flucht befinden, hat der deutsche Entwicklungsminister Müller (CSU) sehr richtig vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt, dass "man mit einer Milliarde Euro in den Krisengebieten mehr bewegen kann als mit zehn Milliarden Euro in Deutschland".

Versetzung gefährdet

Damit stellt er jedoch der eigenen Bundesregierung eine Note aus, die - im Schuldeutsch gesprochen - nicht zur Versetzung ausreichen würde: Entwicklungspolitisch und damit humanitär sowie gleichzeitig finanzpolitisch sind die Versäumnisse Deutschlands - erst recht im Hinblick darauf, dass es sich um eine im Jahr 2000 selbst eingegangene Verpflichtung handelt - blamabel und holen das Land jetzt ein.

Da Dr. Meister als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium in einer besonderen Verantwortung für den effizienten Einsatz von Steuermitteln steht, bleibt zu hoffen, dass, nachdem das selbst auferlegte Milleniumsziel nicht eingehalten wurde, dies im Haushaltsjahr 2016, nachdem uns die Konsequenzen von Flucht und Vertreibung so deutlich wie nie in Deutschland vor Augen gestellt wurden, endlich eingelöst wird.

Matthias Wilkes

Landrat a. D.

Lautertal