TTIP/Ceta Die Diffamierung und der neue Provinzialismus

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Zum Leserbrief "TTIP ist aktuell unser größtes Problem" im BA vom 29. September

TTIP soll weg? Geschenkt, es gibt in der Tat vieles zu verbessern am Zustand des angestrebten Freihandelabkommens zwischen USA und EU. Ceta soll auch weg? Stopp, bitte noch einmal nachdenken. Ceta bietet die Chance, die Handelsbeziehungen zwischen EU und Kanada zu verbessern, und zwar ohne die Nachteile von TTIP in Kauf nehmen zu müssen. Die zu Recht kritisierten privaten Schiedsgerichte in TTIP wird es mit Ceta nicht geben. Europäische Unternehmen können auch erstmals an öffentlichen Ausschreibungen - nicht nur des kanadischen Staates, sondern auch der Provinzen und Kommunen - teilnehmen. Der Schwarzwälder Schinken und etwa 140 weitere regionale Erzeugnisse werden geschützt. Diese und weitere Verbesserungen tragen dazu bei, den Vertrag als Vorbild für andere Verträge zu empfehlen.

Freihandel wird diskreditiert

Wie auch der oben genannte Leserbrief zeigt, geht es vielen Gegnern des Abkommens inzwischen jedoch weniger darum, ob es etwas Positives bringt. Die Ablehnung als solche ist entscheidend. Der Freihandel selbst wird diskreditiert. So auch nachzulesen bei den Globalisierungskritikern von Attac im Internet. Auch die Autorin des Leserbriefs greift zum großen Knüppel. TTIP (im Kontext des Leserbriefs darf man unterstellen, dass auch Ceta gemeint ist) sei ein "Angriff auf den europäischen Geist". Unsere in Jahrhunderten erkämpften Rechte und Gesetze würden aufs Spiel gesetzt, Demokratie und Souveränität gleich mit. Nicht überraschend ist, dass die Amis die Bösewichte sein müssen, die das alles zerstören wollen. Ebenso absurd ist die Behauptung, dass die Abkommen zu TTIP und Ceta "ohne Mitwirkung unserer demokratischen Gremien und ohne Berücksichtigung unserer Gesetzgebung entstanden" seien. Wie das, wenn die europäischen Institutionen, die nationalen Regierungen und Parlamente inklusive Bundesregierung und Bundestag dabei sind?

Es kommt noch derber. Den Kampf gegen TTIP und Ceta setzt die Autorin mit dem Kampf der antiken Spartaner gegen den "despotischen Geist" der persischen Könige gleich. Die Freihandelsgegner sieht sie in der Rolle der edlen Spartaner und die USA - als Perser - sind das Reich der Finsternis. Ob allerdings der Spartanerkönig Leonidas weniger despotisch war als König Xerxes, ist sehr fraglich. Die persischen Könige waren zu dieser Zeit geradezu legendär tolerant gegenüber Minderheiten. Abgesehen von dem dubiosen Geschichtsbild ist der Vergleich des Widerstandes gegen TTIP mit dem griechischen Kampf auf Leben und Tod ziemlich unangemessen.

Wunsch nach Abschottung

Was der Leserbrief auch durchscheinen lässt, ist der Wunsch nach Abschottung, wie er nicht nur bei Freihandelsgegnern zum Ausdruck kommt, sondern besonders in rechtsgewirkten Initiativen und diversen europäischen Parteien. Der bizarre Anspruch, ausgerechnet durch Provinzialismus das Abendland, vor was immer auch, retten zu wollen, hat viele Anhänger gefunden. Der Euro muss weg, heißt es, die EU gleich mit, die Flüchtlinge sollen raus, und - nicht zu vergessen - Merkel soll weg. Das große Halali der Anhänger der kleinen Karos auf alles Internationale ist nicht zu überhören. Trump, die "Brexiter", Le Pen, Orbán in Ungarn sowie Kaczynski in Polen und hier bei uns die AfD, die Führung der CSU und andere stoßen in das gleiche Horn. Die Welt soll provinziell werden. Wenn jeder für sich ist, so die Logik, geht es besser.

Woher bei all dem Protektionismus und Nationalismus am Schluss der Handel kommen soll, auf den nur wenige Länder so sehr wie Deutschland angewiesen sind, ist rätselhaft. Die Autorin schiebt wohl auch deswegen die Idee, dass es auch um die Sicherung unseres Wohlstandes und um Arbeitsplätze gehen könnte, flott beiseite. Dass auch der internationale Frieden besser mit offenen Grenzen für Handel und Wandel gedeiht, findet schon mal gar keine Erwähnung.

Die jüngste Entwicklung in Europa zeigt überdeutlich, wie nationale Gegensätze schnell wieder blühen können. Ich meine, statt alte Grenzen zu vertiefen, sollte sich ein geeintes Europa friedlich mit internationalen Partnern verbünden und Wege zu einem fairen Handel suchen. Ceta ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Dr. Wolfgang Johannsen

Bensheim

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