Energiewende Formalien contra Vorsorge vor Strahlenschutz

Lesedauer

"Den richtigen Zeitpunkt verpasst" und "Formeln werfen Fragen auf", BA vom Freitag, 31. Oktober, und Mittwoch, 5. November

Die Genehmigung ist weder formell noch materiell rechtswidrig." Der zehnte Senat des VGH Baden-Württemberg hat die Klage von vier Bürgern aus der Nähe des Atomkraftwerks Obrigheim gegen die zweite Stilllegungs- und Abrissgenehmigung (SAG) abgelehnt. Eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung sei vor der zweiten Teilgenehmigung ebenso wenig erforderlich gewesen wie die neuerliche förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit. "Das Gesamtvorhaben war im Sicherheitsbericht zur ersten SAG umfassend beschrieben", so der Vorsitzende Richter.

Wenn dieses Verfahren das Muster für die Vorgehensweise an anderen Standorten - wie etwa beim Abriss der Atomkraftwerksblöcke A und B in Biblis - bilden sollte, dann ist höchste Wachsamkeit geboten. Die Aussage des Anwalts des baden-württembergischen Umweltministeriums, die vier Kläger hätten den richtigen Zeitpunkt verpasst, kann nur als zynisch bezeichnet werden.

Dass es auch einem "grün" geführten Umweltministerium letztlich nur um einen möglichst geräusch- und reibungslosen Rückbau geht, macht der Umgang mit dem auf Basis des 10-Mikro-Sievert-Konzepts "freigemessenen" Materials aus Obrigheim deutlich. Das baden-württembergische Umweltministerium beharrt auf Deponierung in Buchen (Neckar-Odenwaldkreis), obwohl sich die Bürgerinnen und Bürger dort dagegen zur Wehr setzen. Und zwar völlig zu Recht, denn auch das "freigemessene" und "freigegebene" Material ist radioaktiv belastet und stellt ein Risiko dar, auch wenn ein Vertreter des einstmals atomkritischen Öko-Instituts in Darmstadt dies in seinem Beitrag zur "Freimessung" beim jüngsten Infoforum in Biblis in Abrede gestellt hat.

Keine Antwort auf konkrete Fragen

Insofern wird das Infoforum immer mehr zu einem Ort der Desinformation und Intransparenz, wo keine Antwort auf konkrete Fragen zum Beispiel nach dem Verbleib des "freigemessenen" Materials gegeben wird.

Bezeichnenderweise bezog sich der Vertreter des Öko-Instituts in seinem für Laien größtenteils kaum verständlichen Vortrag auf gerade einmal drei Radionuklide, obwohl das Bundesumweltministerium in seiner Broschüre über Stilllegung und Freigabe beim Abriss von AKWs über 30 Radionuklide nennt, die beim Abbau von Reaktoren zu beachten sind. Die Strahlenschutz-Verordnung fordert sogar die Einhaltung von Grenzwerten der Freigabe für über 300 verschiedene Radionuklide. Meine Frage, ob diese Radionuklide mit herkömmlicher Messtechnik überhaupt erfasst werden können, hielt der Referent für "irrelevant".

Rainer Scheffler

Bensheim