Bundestag Uns fehlt die Wahl, aber die AfD ist keine Alternative

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Ein Jegliches hat seine Zeit, so heißt es bereits im Alten Testament. So ist es nicht nur ein Wesensmerkmal der Demokratie, sondern vielmehr eines der tragenden Grundprinzipien, dass politische Macht stets nur für eine gewisse Zeit verliehen wird. Deren Legitimation basiert auf Wahlen. In der zweiten Hälfte des Jahres 2017 wird der neue, der dann 19. Deutsche Bundestag gewählt.

Für die Bundestagswahl 2017 treten im Bergsträßer Wahlkreis für die CDU Dr. Michael Meister und für die SPD Christine Lambrecht als Direktkandidaten an. Man muss nicht einmal die Qualität amerikanischer Demoskopen haben, um sicher vorauszusehen, dass entweder der CDU-Kandidat oder die SPD-Kandidatin das Direktmandat erringen werden. Rein formal haben die Bürger auch die Wahl zwischen beiden. Versteht man jedoch Wahl im Sinne von "auswählen", dann muss das in der Realität verneint werden, da beide Kandidaten durch sichere Landeslistenplätze ein Mandat im Bundestag erringen werden. Das bedeutet doch tatsächlich nichts anderes, als dass es vollkommen einerlei ist, ob ich den Kandidaten oder die Kandidatin wähle. Beide werden letztlich in den Bundestag gewählt werden.

Meister ist seit 1994 ununterbrochen Mitglied des Bundestages, also 2017 seit 23 Jahren. Seine Kollegin Lambrecht, erstmals gewählt 1998, kommt auf 19 Jahre Abgeordnetentätigkeit. Vereinfachend fasse ich plakativ zusammen, dass der Wähler an der Bergstraße bei der Bundestagswahl 2017 im Hinblick auf die genannten Kandidaten eben keine (Aus-)Wahl hat. Beide Bewerber werden in den Bundestag einziehen und dass es sich bei beiden nicht um "neue" Kandidaten handelt, dürfte unstrittig sein.

Es ist keinesfalls mein Ansinnen, die mit Sicherheit vorhandenen Verdienste von Lambrecht und Meister zu schmälern. Ich kann gerne auch Beispiele von vordersten Repräsentanten des Bundestages anführen. So ist Finanzminister Wolfgang Schäuble seit sage und schreibe 1972 Mitglied des Bundestags. Er war auch schon Innenminister, Kanzleramtsminister, parlamentarischer Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzender. Auch Sigmar Gabriel hat schon nahezu jedes politische Amt in seiner Laufbahn besetzt. Er war Ministerpräsident, "Popminister", Umweltminister und ist jetzt Wirtschaftsminister, Vizekanzler und SPD-Vorsitzender. Um die Riege zu komplettieren, auch die FDP und die Grünen haben mit Wolfgang Kubicki, Renate Künast und Petra Roth Vertreter, die scheinbar zu nahezu jedem Thema in jeder Polittalkshow etwas zu sagen haben.

In der Analyse der US-Präsidentenwahl wurde oftmals als Erklärung herangezogen, dass die Wahl Donald Trumps nicht zuletzt auch eine Wahl gegen das politische Establishment in Washington war. Ich gehe sogar noch weiter: Es ist eine tiefsitzende Frustration der Wähler. Wie frustriert muss ein Wähler sein, wenn er einen Mann wie Donald Trump wählt? Wie frustriert muss ein Wähler sein, wenn er die AfD wählt? Und nein, ich verfalle nicht mehr dem Irrglauben, dass alle AfD- Wähler - Ausnahmen bestätigen hier zwar deutlich die Regel - ewig Gestrige und Rechtsradikale sind.

Vergleiche bieten sich zur bildlichen Beschreibung von Zuständen an. Sowohl für den Fußball als auch für die Demokratie gilt: Sie werden weltweit keinen durchgängig erfolgreichen Fußballverein finden, der über Jahrzehnte den gleichen Trainerstab hat. Auch der beste und erfolgreichste Club braucht nach einer gewissen Zeit einen Wechsel an der Spitze, um sich weiterzuentwickeln. Gute und weitsichtige Trainer wissen, wann der Zenit erreicht ist. Verpassen sie diesen Zeitpunkt, kann man irgendwann in der Zeitung lesen, dass der Verein sich von ihnen trennen musste, da sie die Mannschaft nicht mehr erreicht hätten.

In einer Demokratie ist der Vereinsvorstand der Wähler, der über die Zukunft des Trainers entscheidet. Bleibt man bei dem Bild des Fußballs, spielt die Bundesrepublik in der Champions League. Wir sollten als weitsichtiger Vereinsvorstand erkennen, dass Veränderungen an der einen oder anderen - auch zentralen - Stelle her müssen. Aber wir sollten deshalb doch nicht auf die Idee kommen, einen neuen Trainerstab für eine Champions-League-Mannschaft auszuwählen, der noch nicht einmal in der Lage ist, eine Reservemannschaft in der Kreisklasse zu betreuen. Das ist nämlich - auch wenn der Name des Teams gleiches verspricht - keine Alternative, und auch nicht für Deutschland.

Andree Scharnagl

Einhausen

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