Ganztagsschule - Rechtsanspruch statt elterlicher Geborgenheit Ein Hafen für Kinder sein

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Ich bin zwar schon im 78. Lebensjahr, bin aber Mutter zweier Söhne und kriege mich jedes Mal kaum noch ein, wenn ich dieses Thema zu lesen bekomme. Man betrachte diese Sache doch mal aus dem ganz normalen Ablauf des Lebens: Was haben Kinder heute noch von ihren Eltern und Eltern von ihren Kindern?

Ich schildere mal, wie ich meine Kindheit in Erinnerung habe und sehe die Kriegseinwirkungen heute ein wenig im Vergleich zum Terrorismus, was mit sinnloser Beseitigung von Menschenleben ebenfalls keinen vorstellbaren Zweck hat.

Ich selbst, wie auch mein Bruder, waren weder im Kindergarten noch in einer Ganztagsschule, ich erinnere mich jedoch an Kinder, die damals in ein Internat gesteckt wurden, weil man - hochwohlgeboren - keine Zeit oder Lust hatte, sich mit den eigenen Kindern zu beschäftigen. Diese Kinder hatten Respekt und Angst vor ihren Eltern, aber kein Gefühl von Liebe und Geborgenheit.

Meine Mutter gab uns während der Flucht aus Schlesien nach dem verlorenen Krieg, durch ihre Präsenz und ihre Liebe stets das Gefühl des Geborgenseins, mein Bruder war damals 10 und ich 6 Jahre alt. Ich glaube, jeder weiß, dass man im Kindesalter im Alleingang meist keine guten Erfahrungen sammelt, man braucht eine Vertrauensperson, es sollte nicht unbedingt eine fremde Person sein. Ich jedenfalls bin meiner Mutter für jede Unterstützung heute noch dankbar, sie lebt heute nicht mehr und musste damals auch zur Arbeit, da mein Vater als "im Krieg vermisst" gemeldet galt. Er kam 1948 aus amerikanischer Gefangenschaft krank zurück und starb 1952. Ich war 13 Jahre alt und suchte Unterschlupf bei einer sehr lieben Familie in Ketsch, da ich die Geborgenheit vermisste, die mir meine Mutter auch wegen ihres Einsatzes als "Mutter und Vater" nicht mehr geben konnte.

Heute ist man gezwungen, bereits zweijährige Kinder in fremde Obhut zu geben, Eltern verpassen die schönste Zeit der Entwicklung ihres Kindes und auch diese Kinder lernen kaum noch, was eine Gemeinsamkeit mit Vater und Mutter für ein sicheres und geborgenes Lebensgefühl bereitet. Wenigstens die ersten Jahre sollten Mama und Papa der wohlbehütete Hafen für Kinder sein.

Alte Menschen und Kinder können doch gar nicht mehr in eine Familie eingebunden werden und man sieht doch, dass der so notwendige menschliche Kontakt immer mehr verloren geht. Die intimsten Sachen werden übers Handy preisgegeben und hinterher regt man sich auf, wenn andere sich darüber lustig machen. Heute redet man nur noch per Handy miteinander, selbst wenn man sich in einem Raum befindet.

Gisela Stratthaus, Oftersheim