Kraftfahrzeug-Maut - Gewaltiger Aufwand für eine finanzielle Lappalie / Verkehrsminister Scheuer ist wild entschlossen Es ist schon zum Kopfschütteln

Lesedauer

Fast zwei Jahre lang hat man vom deutschen Maut-Monstrum kaum etwas gehört. Jetzt hat sich unser neuer Verkehrsminister Andreas Scheuer zum Jahresbeginn mit einem Spruch zu Wort gemeldet, der hinsichtlich der Qualität seiner zukünftigen Arbeit kaum Besseres erwarten lässt als das, was uns sein Vorgänger Alexander Dobrindt zu bieten hatte. Er sagte nämlich, jeder Benutzer unserer Infrastruktur (Autobahn) müsse zahlen, aber ohne Mehrbelastung der Inländer.

Daraus folgt, dass nur Ausländer Maut zahlen müssen, während der allergrößte Teil der Benutzer, die Inländer, verschont bleibt. Ein solch eklatanter innerer Widerspruch hätte der Pressestelle des Ministeriums nicht passieren dürfen. Es handelt sich um typisch bürokratische Unempfindlichkeit bezüglich des Sinngehalts behördlicher Statements.

Ich nehme Herrn Scheuers orakelhaften Spruch zum Anlass, das zwischen 2014 und 2016 viel diskutierte und öfter als technisch, administrativ und finanziell unverhältnismäßige Vorhaben in einigen kritischen Punkten in Erinnerung zu bringen und aus heutiger Sicht zu kommentieren. Wir erinnern uns: Bei der geplanten „Maut“, die offiziell „Infrastrukturabgabe“ genannt wird, soll allen deutschen Kfz-Haltern jährlich eine typabhängige Gebühr abgebucht werden, die sie in etwa gleicher Höhe beim nächsten Kfz-Steuerbescheid zurückerhalten.

Ausländische BA-Benutzer müssen ihre Maut wie üblich von Fall zu Fall selbst bezahlen. Die zentrale Frage lautet: Warum sollen 30 Millionen deutsche Kfz-Halter Gegenstand eines buchhalterischen Kreisverkehrs zwischen Verkehrsministerium, Halter und Finanzministerium sein, wo es doch nur um die von Horst Seehofer fast rachsüchtig anvisierten ausländischen Autofahrer geht, die jedoch nur etwa sechs Prozent der Autobahnbenutzer ausmachen?

Eine Erklärung für diesen rätselhaften Sachverhalt ist schwer in einfache Sätze zu packen, ein Umstand, den sich die oft orakelhaft sprechenden Mautbürokraten zunutze machen. Mautkritiker sprechen in diesem Kontext bei Verständnisschwierigkeiten gern von „Wahrnehmungsstörungen“ oder von „partiellem Realitätsverlust“ seitens der Mautaktivisten. Für die EU bedeutet eine Ausländermaut ohne entsprechende Belastung der inländischen Benutzer eine inakzeptable Diskriminierung der Ausländer. Frage: Was spricht gegen eine vielfach geforderte Autobahn-Sanierungsabgabe für deutsche Autofahrer? Antwort: Bundeskanzlerin Merkel. Sie hat nämlich in mehreren Koalitionsverhandlungen den deutschen Autofahrern versprochen, dass sie „nicht mehrbelastet“ würden. Das gilt auch heute noch und deshalb kann es – bis auf weiteres – keine Maut für die deutschen Autofahrer (im Inland) geben, das heißt „keine Maut für uns“.

Bei dieser Sachlage hätte man Seehofers heißes Begehren zurückweisen müssen, ohne Rücksicht auf Münchner Sanktionen wie der angedrohte Ausstieg aus der Koalition. Doch Alexander Dobrindt kam seinem Landesherrn zur Hilfe. Er schlug die erwähnte, weithin ungläubig bestaunte Proforma-Maut per Abbuchung für alle inländischen Pkw-Halter mit Rückzahlung beim nächsten Steuertermin durch das Finanzamt vor. Finanzminister Schäuble ging d’accord. Man glaubte wohl durch die räumliche Entfernung der zwei involvierten Behörden einerseits und durch das zeitliche Auseinanderfallen des Maut- und des Steuertermins werde der EU die als Kfz-Steuerermäßigung kaschierte Mautrückzahlung verborgen bleiben. Doch Verkehrskommissarin Violetta Bulc durchschaute den Trick und klagte beim Europäischen Gerichtshof. Jetzt ging Dobrindt aufs Ganze. Er besaß die Unverfrorenheit, dem anscheinend nicht voll informierten EU-Präsidenten Juncker einzureden, bei dem ominösen Kfz-Steuernachlass handele es sich um einen Bonus für umweltfreundliche Autos. Juncker war zufrieden und begrüßte „ein neues Fördermodell umweltfreundlicher Gefährte“!

Im Moment scheinen die bayerischen Mautaktivisten gesiegt zu haben, doch eine gewisse Hoffnung auf Entlarvung des deutschen Mautschwindels beruht auf der Nachricht, dass Österreich und die Niederlande im Dezember Klage gegen das undurchsichtige Mautprojekt erhoben haben. Das kann lange dauern und der neue Verkehrsminister Scheuer macht viel Druck in dieser Sache, die er bis 2020 vollenden will.

Einstweilen müssen wir damit rechnen, dass bis 2020 ein hochmodernes, kompliziertes elektronisches, 330 bis 350 Millionen Euro teures Mautsystem mit 500 neuen Stellen aufgebaut wird, das für 200 Millionen Euro jährliche Betriebskosten sämtliche Autobahnen mit ihren etwa 42 000 Autos täglich überwacht, um aus den darin enthaltenen 2500 Ausländern schwarze Schafe mit unzureichend gedecktem oder leerem Mautkonto zwecks Bestrafung herauszufiltern.

Bis dahin ist die Sache schon aberwitzig genug, aber der eigentliche technokratische Supergag, der die Sache surreal erscheinen lässt, kommt noch. Wir erinnern uns: Sämtlichen deutschen Autohaltern soll eine Proformamaut abgebucht werden, womit der potenzielle Diskriminierungseinwand seitens der EU entfallen kann. Hätte es nicht auch eine übliche Mautpflicht getan, die es den Autohaltern überlässt, wie und wann sie welche für sie in Frage kommende Maut bezahlen? Das geht aus einem hier nur ganz summarisch wiederzugebendem Grund nicht. Anstatt es bei einem bekannten Pickerl für die deutschen Autos bewenden zu lassen, hat man sich für eine hochmoderne „elektronische Vignette“ entschieden: Alle Autos werden von einem flächendeckenden computergestützten Kontrollsystem erfasst. Jetzt kommt der Treppenwitz: Das im letzten Jahr vorgestellte System kann ausländische Kennzeichen nicht von inländischen unterscheiden. Wie kann man dann die ausländischen Mautsünder herausfinden? Atemberaubend schlaue Antwort: Da, wie vorgesehen, alle deutschen Autos infolge der automatischen Proformamaut-Abbuchung ein volles Mautkonto haben, werden sie vom Kontrollsystem durchgewinkt: „Kennzeichen okay!“ Registriert die Kamera aber ein Kennzeichen, das im Zentralcomputer mangels Bezahlung nicht vorkommt, dann muss es sich um einen säumigen Ausländer handeln.

Gewaltiger Aufwand für eine finanzielle Lappalie! Unfassbar! Ob dieses Super-Kontrollsystem einen Ertrag für die Erhaltung unserer Infrastruktur abwirft, ist nach Meinung eines vom ADAC beauftragten Gutachters (Ratzenberger) höchst fraglich. Es handelt sich hier um ein typisches „Technokratenbaby“, das heißt eine Konstruktion technikfaszinierter Macher, die „alles machen, was geht“, mit oder ohne ökonomische Rationalität.

Profitabel ist die Sache nur für die Betreiber – mit Anhang. Das unter skandalöser Täuschung der EU mit extrem überzogenem Aufwand aller Art im Aufbau befindliche und wahrscheinlich Verluste einbringende technisch-bürokratische Monstrum „deutsche Ausländermaut“ sollte vielleicht den Generalbundesanwalt interessieren.

Der Normalbürger kann jedenfalls nur fassungs- und verständnislos den Kopf schütteln.

Felix Conrad, Hockenheim