Walldorf - Falschmeldungen in sozialen Netzwerken schüren nach dem Tod eines Kindes unbegründete Ängste bei Eltern in der Region

Hysterie nach Sprachnachricht

Von 
Bernhard Zinke
Lesedauer: 
Bild: Montage: Dolch © istock,

Walldorf/Heidelberg. Der sechsjährige Junge aus Walldorf, der in der vergangenen Woche gestorben ist, hatte eine Grippe. „Als medizinische Ursache des tragischen Einzelfalls konnte eine Infektion mit der saisonalen Grippe – Influenza Typ B – festgestellt werden, die aufgrund einer bakteriellen Zweitinfektion einen schweren Verlauf nahm“, teilte Amtsarzt Andreas Welker gestern mit.

Der Tod des Sechsjährigen beschäftigt auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Da die Umstände noch nicht geklärt seien, wurden am Samstag die ersten Ermittlungen aufgenommen, teilten Kripo und Staatsanwaltschaft gestern mit. Die Ermittler wollen klären, „ob es Verantwortlichkeiten Dritter gab, die zum Tod des Jungen beigetragen haben könnten“. Deshalb seien die Klinikakten sichergestellt worden, die behandelnden Ärzte würden als Zeugen vernommen.

Der Tod des Grundschülers hat wegen Verbreitung von Falschmeldungen für größte Verunsicherung bei Bürgern in der Region gesorgt. Die besondere Problematik des Falles erläutert Doris Rübsam-Brodkorb, Sprecherin der Uniklinik Heidelberg, wo das Kind untersucht wurde. Durch die ärztliche Schweigepflicht dürfe die Uniklinik jedoch grundsätzlich keine Auskunft zu Diagnosen geben.

Klare Empfehlung

Das Kind habe im Grunde „eine gut therapierbare Krankheit“ gehabt, heißt es in der Stellungnahme der Uniklinik. Der Junge sei am vergangenen Dienstag in Begleitung seiner Mutter in die Kinderklinik gekommen. Die Ärzte hätten dort eine eindeutige Diagnostik erstellt und eine klare Behandlungsempfehlung ausgesprochen. „Die Mutter hat jegliche Behandlung abgelehnt und das Kind gegen ärztlichen Rat mitgenommen“, heißt es dazu von der Uniklinik. In der Nacht zum Mittwoch sei ein Notarztwagen zu dem Kind gerufen worden. Beim Transport zur Klinik sei das Kind dann verstorben. Virologische und bakterielle Untersuchungen hätten nun die Diagnose „Influenza“ bestätigt.

Bei einer durch Viren geschwächten Lunge könne es zu einer zusätzlichen bakteriellen Infektion kommen, erklärte der Amtsarzt des Kreisgesundheitsamts. Dies sei eine seltene, aber bekannte Komplikation. „Wir sind sehr betroffen von dem Tod des Jungen und sprechen den Eltern und Angehörigen unser tiefes Mitgefühl aus“, sagte die Sprecherin des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis, Silke Hartmann. Gleichzeitig betonte der Kreis: „Für die Bevölkerung besteht somit keine besondere gesundheitliche Gefährdung.“

Genau das hatten aber weite Kreise in sozialen Netzwerken in Zweifel gezogen. Eine fast vier Minuten lange Sprachnachricht in WhatsApp hat während der vergangenen Tage rund um Walldorf geradezu für eine Massenhysterie gesorgt. In der Nachricht ist eine weinende Frau zu hören, die sich offensichtlich in einem emotionalen Ausnahmezustand befindet und von zwei Todesfällen bei Kindern in der Region berichtet. Angeblich wüssten die Ärzte nicht, um welches Virus es sich handle, aber die Kinder würden in kürzester Zeit sterben, schluchzt die aufgelöste Frau.

Diese Sprachnachricht habe sich explosionsartig in den sozialen Netzwerken verbreitet, sagt Walldorfs Bürgermeisterin Christiane Staab. „Es ist erschreckend, wie hier mit Halbwahrheiten Stimmung gemacht wird“, sagt die Verwaltungschefin.

Deshalb habe sie die Sprachnachricht an die Polizei weitergegeben. Diese Aufnahme sei schließlich die Ursache, dass Eltern in diffuse Ängste versetzt worden seien. Nun will die Bürgermeisterin überprüft wissen, ob es einen Ermittlungsansatz gibt und vielleicht jemand ganz bewusst verunsichern wollte. „Es geht nicht darum, begründete Ängste kleinreden zu wollen. Aber es darf nicht sein, dass unbegründete Ängste ohne Not geschürt werden.“

Blindes Teilen von Nachrichten

In die Pflicht nimmt Staab ausdrücklich auch jeden Nutzer, der solche Nachrichten gedankenlos teilt. Sie selbst habe Menschen angesprochen, die die Nachricht weiterverbreitet hatten. Diese hätten jedoch nicht einsehen wollen, dass dies seinen Teil zur Hysterie beigetragen habe. Sie hätten die Nachricht ja nicht verfasst, sondern „nur“ weitergeleitet, habe die Begründung gelautet. Dieses blinde Teilen von Nachrichten sei eine ganz gefährliche Sache, meint die Bürgermeisterin. „Da müssen wir als Gesellschaft viel mehr sensibilisieren. Jeder hat die Verantwortung, auch Dinge zu hinterfragen“, sagt Staab.

Besonders schlimm findet es die Walldorfer Bürgermeisterin, dass die betroffene Familie durch diese Massenhysterie nun plötzlich im grellen Licht der Öffentlichkeit stehe. Sie habe nun keinerlei Gelegenheit, dieses tragische Ereignis zu bewältigen und ihr Kind in aller Stille betrauern zu können.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

Mehr zum Thema

Kommentar Eine Frage der Verantwortung

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Grippe als Todesursache Toter Junge in Walldorf - Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Walldorf Kind hatte keinen Virus

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Copyright © 2024 Mannheimer Morgen