Das sagen Leser zum „Debatte“-Text über einen deutschen Islam

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Zum Debattenbeitrag „Kann es einen deutschen Islam geben, Herr Kadioglu?“ vom 15. Dezember:

Diesen Artikel kann ich nicht unwidersprochen hinnehmen. Herr Kadioglu behauptet „so haben Muslime ... Tausende Gotteshäuser in Deutschland gebaut-finanziert durch die Gemeindemitglieder“. Er lässt völlig außen vor, dass zahlreiche Moscheen mit finanzieller Unterstützung durch Saudi-Arabien errichtet wurden mit dem Ziel, den wahabistischen Islam zu etablieren.

Ein anderes Zitat: „Im Islam gibt es keine religiöse Autorität, die eine uneingeschränkte Deutungshoheit über alle Muslime besitzt. Jeder definiert sich selbst ...“ Es gibt nicht die eine Autorität, sondern es gibt einige Autoritäten, die sehr wohl für sich eine Deutungshoheit in Anspruch nehmen. Man denke an die Fatwa gegen Salman Rushdi und die Äußerungen diverser Imame und Muftis zum Islam. Und Islamkritiker als Krawallmacher zu bezeichnen trägt nicht zu einer sachlichen Debatte über den Islam in Deutschland bei.

Der Autor fühlt sich bereits durch die Aufgabenstellung der Islamkonferenz angegriffen. Wenn man aber seine anfangs akzeptierte Zersplitterung der Muslime in viele Gruppierungen im Blick hat und dem Innenminister nicht böswillig eine unzulässige Verallgemeinerung unterstellt, dann hat er recht: Die mehrheitliche Stimmabgabe der Türken in Deutschland für den autoritären Präsidenten Erdogan spricht nicht für eine Verwurzelung in unserer demokratischen Gesellschaft.

Die mangelnde Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau, das Wachsen einer islamischen Paralleljustiz und die Radikalisierung von Attentätern in einigen Moscheen weisen doch wohl darauf hin, dass die Werte unseres Grundgesetzes nicht von allen geteilt werden. Und dass unser Land nicht geachtet, unsere Flagge auch schon mal verbrannt und unsere Nationalhymne nicht gesungen wird, ist wohl eine traurige Folge unserer als Schwäche ausgelegten Toleranz, die ebenso wie der Respekt von muslimischer Seite immer wieder eingefordert, aber nicht erbracht wird.

Weiterhin lässt Herr Kadioglu Sachlichkeit vermissen, wenn er progressive islamische Bewegungen, die sich an die Mehrheitsgesellschaft wenden, diffamiert, indem er ihnen unterstellt, Ängste „bestärken“ zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall und ist angesichts der oben erwähnten Phänomene absolut notwendig. Zum Abbau von Ängsten gehört doch zunächst einmal das Erforschen der Ursachen, auch wenn man dazu unschöne Erfahrungen mit Muslimen in den Blick nehmen und benennen und natürlich auch mit Vertretern der FPÖ und der AfD sprechen muss. Anders kann furchteinflößende Fremdheit nicht überwunden werden. Diese konkrete Beschäftigung mit den real existierenden Defiziten vermeidet der Autor.

Erfreulich an dem Debattenbeitrag Hasan-Hüseyin Kadioglus ist seine Feststellung im ersten Absatz, dass es keine zentrale Organisationsstruktur des Islam gibt und keine „islamische Kirche“, mithin aber auch keine Personen, die in irgendeiner Weise für „die Muslime“ sprechen könnten. Danach hören die diskussionswürdigen Aussagen leider auf. Die Behauptung im vorletzten Absatz, dass auch liberale Muslime ihren Platz in „unserer“ (der deutschen?, der muslimischen?) Gesellschaft haben, ist schlichtweg skandalös. Wenn vermutlich auch Herr Kadioglu weiß, dass Islam-Kritiker wie Seyran Ates und Hamed Abdel-Samad (etwas unfein als „Krawallmacher“ bezeichnet), sich nur mit Polizeischutz in der Bundesrepublik Deutschland bewegen können.

Was soll also das Geschwätz, dass jeder im Islam seinen Glauben selbst bestimmen kann, eine Aussage, die mit der Realität in allen „islamischen“ Ländern, angefangen bei Saudi-Arabien und dem Iran als den Haupt-Protagonisten, nicht das Geringste zu tun hat. Die Auffassung, dass der Islam nicht die Werte des Grundgesetzes teilt, trifft zumindest auf die etwas euphemistisch „konservativ“ genannten Islamverbände zu, die in der heute noch gültigen „Islamischen Charta“ vom 20. Februar 2002 die Ablehnung von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten doch sehr eindeutig formuliert haben.

Den Skandal sehe ich darin, dass diese Verbände weiterhin zur Islamkonferenz eingeladen werden, eine Nachlässigkeit, die leider die Unkenntnis der Bundesregierung über das Denken und die politische Einstellung von DITIB und all der anderen islamischen Verbände auf peinliche Weise dokumentiert. Dass diese euphemistisch „konservativ“ genannten islamischen Verbände, wie Herr Kadioglu in der Mitte seines Beitrags erklärt, die Mehrheit der Muslime in Deutschland repräsentieren, ist Wunschdenken und widerspricht seiner Behauptung im ersten Absatz seines Beitrags.

Seriöse Meinungsumfragen haben ergeben, dass drei Viertel der in Deutschland lebenden „Muslime“ (darunter sind in sinnwidriger Weise Atheisten, Agnostiker, „Kultur-“ oder „säkulare Muslime“, Aleviten, in einigen Fällen sogar Juden und Christen eingeschlossen) die Einstellung und die Politik dieser selbst ernannten Vertreter des Islam ablehnen. Und noch eine Zahl: Bei der letzten Volksbefragung im Jahre 2013 haben sich nicht einmal zwei Prozent der deutschen Bevölkerung (Menschen mit Migrationshintergrund einbezogen) zum Islam „bekannt“. Es ist schlichtweg unverständlich, warum um eine derartige Minderheit ein solches Aufhebens gemacht wird.

Aber aufgeklärt, säkular, humanistisch, liberal sind die zentralen europäischen Werte, die in den letzten 500 Jahren gegen die Kirchen und gegen den Staat in zahlreichen Konflikten, Revolutionen, Kriegen und Bürgerkriegen mit sehr viel Blut und Verlust von Menschenleben erkämpft wurden, und die wir uns nicht einfach wieder nehmen lassen, weder von Populisten noch von irgendwelchen religiös motivierten Gruppierungen.

Da kann auch kein Diskurs oder Dialog zu einem kompromissbedingten Weniger führen. Nebenbei bemerkt ist es mir völlig gleichgültig, ob ein Verband oder eine Initiative „historisch verwurzelt“ oder neu gegründet ist. Mich interessiert einzig und allein, wofür man steht und was das Ziel ist. Und ist das Ziel: Weniger aufgeklärt, weniger säkular, weniger humanistisch, weniger liberal, dann kann ich damit nicht konform gehen. Da gibt es keine Kompromissbereitschaft. Dann schreibt Kadioglu: „Aber Muslime sind ja nicht die Zielgruppe der selbst ernannten Reformer …“ Doch, das sind sie, aber in einem europäischen Umfeld – aufgeklärt, säkular, humanistisch, liberal – und nicht in einem ethnisch-religiösen Ghetto verharrend. Cem Özdemir hat das verstanden, manch anderer offensichtlich nicht.

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2ExfDed

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