Leserbrief - Zum Bericht „Bewegung in den Beinen bringt auch welche in den Kopf“ (FN, 7. März)

Die Schuld nicht bei den Lehrern suchen

Von 
Gregor Englert
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Nach dem Lesen des Artikels „Bewegung in den Beinen bringt auch welche in den Kopf“ war ich sehr erstaunt. Ich fragte mich, warum so wenige meiner Mitschüler unserer Schulzeit am Ganztagsgymnasium Osterburken übergewichtig waren.

Vielleicht lag es daran, dass wir außerhalb des Unterrichts die zahlreichen Bewegungsangebote genutzt und unsere Eltern auf unsere Ernährung geachtet haben. Hier finde ich es komplett fehl am Platz, die Schuld für übergewichtige Jugendliche bei traditionell unterrichtenden Lehrkräften zu suchen.

Vielmehr sollten sich die Eltern an die eigene Nase fassen und aufpassen, dass ihre Kinder nicht vor dem PC, Fernseher oder Handydisplay „verdicken“.

Es gibt eine so bunte Vielfalt an Angeboten vom Fußball über Tennis bis hin zur Kletterhalle, dass für jeden etwas dabei sein sollte. Für den Bewegungsmangel ihrer Sprösslinge müssen sich zuallererst die Eltern verantwortlich zeigen und nicht die Pädagogen, deren wichtigste und zentrale Aufgabe die Bildungsvermittlung ist.

Zusätzlich hat mich geärgert, dass das Gymnasium als „langsam“ dargestellt wird. Das Gymnasium als Schulart zeichnet sich seit Jahren aus, Jugendliche ganzheitlich zu entwickeln und auf ein mögliches Studium vorzubereiten.

Als gymnasialer Lehramtsstudent der Fächer Mathematik und Physik bin ich froh, dass mir insbesondere in Mathematik viel frontal erklärt worden ist. Sonst wäre ich wahrscheinlich bereits im Univorkurs jämmerlich gescheitert, weil mir die Grundlagen fürs Studium gefehlt hätten.

Weiterhin bleibt zu bedenken, ob Schüler in Abwesenheit einer Lehrkraft in einem Lernpavillon effektiv und selbstständig arbeiten können, da hierzu ein hohes Maß an Motivation und Eigenverantwortung notwendig ist. Es liegt nun mal auch in der Natur der Jugendlichen, dass beispielsweise die Bundesligaergebnisse vom Wochenende oder die neueste Folge von „Germany’s next top model“ heftiger diskutiert werden als die Französische Revolution.

Selbstverständlich haben Gruppenarbeiten, Lernzirkel und Projektarbeiten als Sozialformen und Methoden ihren berechtigten Platz in der Schule. Gerade selbständiges Experimentieren im Physikunterricht ist eine Kompetenz, die Schüler/innen sich „bewegt“ erarbeiten können und müssen.

Dennoch sollten die Pädagogen an den Schulen ihr primäres Ziel der Bildung nicht aus den Augen verlieren und das Hauptaugenmerk zur Erfüllung sekundärer Ziele wie Bewegung in die dafür vorgesehenen Zeitfenster verweisen, zumal Baden-Württemberg im letzten IQB-Bildungstrend ein historisch schlechtes Ergebnis an den Grundschulen erreicht hat, die jetzt für ihren bewegten Unterricht gelobt werden. Für Bewegung, Spiel und Sport sollte nach dem Unterricht noch genügend Zeit sein.

Ich gebe Mathe- und Physikförderunterricht an einem Würzburger Gymnasium, welches nachmittags den Schüler verschiedene Sportmöglichkeiten anbietet, unter anderem Basketball, Handball und Rudern.

Im ganzen Schuljahr waren unterschiedliche Schülergruppen aus verschiedenen Jahrgangsstufen bei mir, und kein einziges Kind war übergewichtig. 45 Minuten am Stück konnten sie sich sitzend auf lineare Gleichungssysteme und Rotationsbewegungen konzentrieren, so dass mir und auch den Schülern die gemeinsame Arbeit Spaß gemacht hat.

Daher halte ich weiterhin an meinem Berufsziel fest und freue mich, hoffentlich bald junge Menschen unterrichten zu dürfen.

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