Leserbrief - Zum Leserbrief „Lieber in Winterthur und Zürich“ (FN/TZ 6. Dezember)

Jungmediziner begeistern und Vorteile aufzeigen

Von 
Dr. Carsten Köber
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Zweifelsohne befinden wir uns in einer Zwickmühle: Erneut hat eine hausärztliche Praxis ihre Pforten geschlossen und trotz mehrjähriger Suche keinen Nachfolger finden können. Vor diesem Hintergrund ist die Ursachensuche freilich eminent wichtig. Der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW)– nur für diese kann ich hier sprechen – die Rolle eines Sündenbocks zuzusprechen, ist aber eine sehr einseitige, fast populistische Sichtweise.

Die „Generation Y“, hat andere Vorstellungen vom Arztberuf als ihre Vorgänger. Hoch im Kurs steht hier die „Work-Life-Balance“. Junge Kollegen möchten medizinische Verantwortung übernehmen, scheuen aber die scheinbar unsicheren Fahrwasser des unternehmerischen Risikos, durch die eine Arztpraxis gesteuert werden muss. Angestellte wollen bezahlt, Gesetze beachtet und der Cash-Flow im Auge behalten werden. Weiter sind heute zwei Drittel der Medizinstudierenden weiblich – mit eigener Einzelpraxis ist es nahezu unmöglich, ein Kind zu bekommen und gleichzeitig das „Unternehmen“ am Laufen zu halten.

Auch aus fachlichen Gründen fügen sich Nachwuchsärzte lieber in Gemeinschaftspraxen ein. Hier können Fälle diskutiert und eigene Überzeugungen auf den Prüfstand gestellt werden – der Arzt sieht sich nicht mehr als unfehlbar und ist im Rahmen der evidenzbasierten Medizin auch immer wieder bereit, seine therapeutischen oder diagnostischen Gewohnheiten bei Veröffentlichung neuerer Daten umzustoßen.

Als noch „jüngerer“ Hausarzt merke ich an, dass uns ein Großteil der im Leserbrief angeprangerten „Verordnungsregeln“ für Medikamente eher wenig schocken. In aller Regel liegen ihnen Studiendaten zugrunde, die eine Einschränkung mit Sinn belegen und dazu beitragen, Patienten vor unnötigen und potenziell schädigenden Maßnahmen zu schützen. Beispielhaft sei hier die Verordnungsfähigkeit der Cholesterinsenker nur bei deutlich erhöhtem Herz-Kreislaufrisiko erwähnt.

Dass Privatversicherungen solche Leistungen übernehmen, kann also mitnichten nur als Vorteil betrachtet werden. Bis zum heutigen Tag musste ich keinem „Kassenpatienten“ eine nach medizinischem Wissensstand notwendige Maßnahme oder Medikation aus wirtschaftlichen Gründen vorenthalten. Durch die KV „unter Druck gesetzt“ sehe ich mich nicht: Seit 2014 wird in Baden-Württtemberg bei Hausärzten gänzlich auf die erwähnte fallzahlabhängige Abstaffelung (= Honorarkürzung) sowie auf Fallzahlzuwachsbegrenzungen verzichtet: Kein Hausarzt wird hier „bestraft“, wenn er mehr Patienten behandelt muss. Weiter wurde bis dato die Zahl der Nachforderungen (Regresse) im Arzneimittelbereich soweit gedrückt, dass die Nulllinie in unserem Bundesland fast erreicht ist.

Für eine Steigerung der Attraktivität der Niederlassung „auf dem Land“ konnte durch die Notfalldienstreform erreicht werden, dass ein Weikersheimer Hausarzt nicht mehr 20 bis 30 Bereitschaftsdienste jährlich, sondern allenfalls noch ein Drittel davon ableisten muss.

Die Zukunft wird in Zusammenschau sicher größeren Gemeinschaftspraxen gehören, in denen „die Last auf mehreren Schultern“ verteilt werden kann. In solchen Praxen sind dann auch angestellte Ärzte in Teilzeittätigkeit denkbar.

Wenn wir möchten, dass mehr junge Ärzte den Weg in die Niederlassung finden, müssen wir aber in erster Linie an unserem Image arbeiten. Wir müssen aktiv als Weiterbildungspraxen junge Ärzte für die Sache begeistern und Studenten im Rahmen der akademischen Ausbildung schon früh in unsere Wirkungsstätten bringen. Wir dürfen – nein, wir sollen – aber dem Nachwuchs auch darstellen, wo die organisatorischen Vorteile der Niederlassung bestehen: Welcher andere Selbständige kann sich schon auf ein weitgehend geregeltes und marktunabhängiges Einkommen verlassen? Wo sonst kann man so frei über seine eigenen Arbeitszeiten entscheiden? Wo sonst bekommt man ein direktes Feedback und echte Wertschätzung von seinen „Kunden“?

Klar ist: Der niedergelassene Arzt muss sich den vertragsärztlichen Regeln unterwerfen, bekommt aber dafür die Garantie einer stetigen „Versorgung mit Kunden“ und damit einen stetigen Umsatzfluss. Wer Nachwuchs generieren will, muss den Jungmedizinern auch zeigen, wie großartig und erfüllend der, zumindest für mich, „schönste Beruf der Welt“ ist. Jammern und Resignieren schreckt jedenfalls noch Unentschlossene eher ab und hilft Niemandem!

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