Leserbrief - Zum Artikel "Kinderkrippen sínd auf dem Vormasch" (FN, 2. November) Erst Bindung aufbauen

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Der Blick in die Statistik zum Thema Kinderkrippen legt dar, wie sehr die Inanspruchnahme der Fremdbetreuung von Kindern unter zwei Jahren im Main-Tauber-Kreis zugenommen hat.

Neben den diesbezüglichen Zahlen deutet er auch die verschiedenen Interessen auf Seiten der Erwachsenen an.

Aus meiner Erfahrung jahrzehntelanger Erziehungsberatungstätigkeit sowie aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen der modernen Hirnforschung möchte ich den Artikel um die Perspektive der Kleinstkinder ergänzen. Dem Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten stimme ich dort zu, wo es um ältere Kinder geht. Selbstverständlich profitieren die allermeisten Über-Dreijährigen von Anregungen aus Kindertagesstätte oder Kindergruppen verschiedenster Art. Für ganz junge Kinder gilt dies jedoch noch nicht ohne Weiteres; die brauchen erst einmal den überschaubaren Rahmen ihrer Familie, wo ihre Bedürfnisse feinfühlig erkannt und beantwortet werden, wo sie Bindungen an wenige liebevolle, möglichst gleich bleibende Bezugspersonen aufbauen können. Dieses schöne Nest - und auch die finanziellen Möglichkeiten dazu - sind freilich nicht in jeder Familie vorhanden, bedauerlicherweise. Nur wenn es darum geht, solche Defizite auszugleichen, mag Fremdbetreuung abhelfen.

Urvertrauen aus dem Blick

Der aktuelle Trend in unserer Gesellschaft bedient jedoch vor allem die Interessen von Wirtschaft und Politik, die Steuern zahlende Berufstätige wollen. Dabei gerät jedoch das Naturgesetz, nach dem der Aufbau von "Urvertrauen" beim Menschen eben zwei bis drei Jahre Wachstum braucht, aus dem Blick. Wenn man Umfragen bei Kleinstkindern machen könnte, würden diese die derzeit so geschmähte Betreuung zuhause mit großer Mehrheit vorziehen, bis eben auf die Minderheit derer, die in problematischen Verhältnissen aufwachsen müssen. Umgekehrt habe ich auch viele Mütter und Väter kennen gelernt, die ihrem Kleinkind die Zeit zuhause lieber ermöglicht hätten, ja, die sich eigentlich diese wunderbare Lebensphase gerne auch selbst gegönnt hätten, aber schließlich doch dem Sog der heutigen Meinungsmacher erlegen sind.

Mir war es immer ein Anliegen, Eltern Mut für eine Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit zu machen, in der sie ihrem Kind als fester Partner eine gute Grundlage für seine gesunde seelische Entwicklung geben. Gelungene Bindung bleibt immer noch die beste Voraussetzung für spätere Bildung außer Haus.

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