Autofreies Wochenende zum Fahrradjubiläum?

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Zum Artikel "SPD rückt von Beschluss ab" vom 28. Juni:

Nein, nein, nein. Schon das Wort "autofrei" hat unseren Einzelhandel stark erschüttert, was, wenn es auch noch dazu käme? Ich bin so erleichtert, dass sich in der SPD jetzt endlich Stimmen der Vernunft zu Wort gemeldet haben, um dem geplanten groben Unfug einer autofreien Innenstadt ein Ende zu bereiten.

Von den existenzvernichtenden Einbußen in Höhe von 1,51 Prozent des Jahresumsatzes des Einzelhandels abgesehen, was würde denn eine Innenstadt ohne Autos tatsächlich bedeuten?

Radwege/-streifen nicht mehr zugeparkt; Radfahrer nicht mehr von Autofahrern gefährdet und bedrängt; die Ästhetik beidseits vollgeparkter Straßen ist dahin; keine tollen Karossen mehr zu bewundern; kein Hupen, kein Gestank, keine jäh aufheulenden Motoren und quietschende Reifen, keine lautstarken Musikgenüsse mehr vom hochkarätigen Bord-Infotainment, stattdessen unerträgliche Stille bei guter Luft; und und und, die Fantasie, worauf wir alles verzichten müssten, findet keine Grenzen.

Ich frage ganz im Ernst: Wer hält denn so etwas aus? Welcher Bürgerin, besonders welchem Radfahrer ist ein solcher Verlust an weltläufigem urbanen Flair einer modernen Großstadt, wie Mannheim eine ist, zuzumuten, und das auch noch beim Radjubiläum? Wer will die Gefahr unbeherrschbarer Zusammenbrüche mit unabsehbaren Traumata, die diese Menschen bei der plötzlich grenzenlosen Freiheit ruhig dahingleitenden Radfahrens zwangsläufig erleiden würden, verantworten?

Alles natürlich rein rhetorische Fragen, bei denen es daher auch keine Kompromisse geben kann, wie etwa "autoreduziert" (so jetzt der SPD-Vorschlag).

Vielmehr: Die Feier des Fahrradjubiläums wird ohne jede Einschränkung für das von allen Bürgerinnen zu Recht geliebte Auto und ohne reale Fahrräder durchgeführt. Das Fahrrad als solches wird dem Stand der Informationstechnik entsprechend virtuell-digital gefeiert. Für die wenigen Menschen, die (noch) ohne Smartphone leben (können), werden an zwei zentralen Orten der City Videowände aufgestellt, wo in Form des beliebten Public Viewing die Erfindung und Entwicklung des Fahrrads seit Karl Drais bis heute verfolgt werden kann. Auch die Darbietungen, die sich die zahlreichen Bürger zum Jubiläumsjahr ausgedacht haben, werden dort als Videos eingespeist.

Über den Anlass hinausdenkend möchte ich noch etwas vorschlagen, was dem Einzelhandel, der tendenziell nur Autofahrer als kaufende und zahlende Kunden anzusehen scheint, höhere Umsätze bringen könnte. So sollten vor allem größere Häuser ernsthaft über die Schaffung von direkten Zufahrten ins Gebäude nachdenken, über die auch Kunden mit besonders city-geeigneten Geländewagen bis zur Umkleidekabine fahren könnten. Damit würden sich deren Laufwege extrem verkürzen, und ein exklusiver Service würde alle Käuferwünsche erfüllen. Lache bitte niemand über diesen Vorschlag, ich hab's in meinem Vorort erlebt, dass Kunden beiderlei Geschlechts auf dem für Menschen mit Rollstuhl oder Kinderwagen abgeflachten Gehweg nahezu bis zur Ladentür gefahren sind, um dort zu parken. Und wenn der Einzelhandel und seine Sprecher mal ganz mutig sein wollen, dann lassen sie sich vielleicht sogar von den fantasievollen Vorschlägen der Grünen anregen und machen sich aus vollem Herzen den Ruf zu Eigen:

Autofrei und Spaß dabei!

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