Demokratie erlaubt Leserbrief ungestraft

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Zu den Leserbriefen "Einfache Antwort auf schwierige Frage" vom 17. August:

Der Leser Richard Schwär setzt sich in seinem Leserbrief mit dem Begriff des Populismus auseinander. Nach etwa zwei Drittel seiner Ausführungen, die man teilen kann oder nicht (ich teile sie nicht), verfällt er allerdings in eine Wortwahl, die seltsam anmutet: Da ist allen Ernstes von einer "Merkel-Diktatur" die Rede, wird der Regierung "eine ungebremste Machtentfaltung" vorgeworfen und die "Gefahr" heraufbeschworen, "dass unter der Herrschaft machtbewusster Bundeskanzler Freiheit und Demokratie schleichend zerstört wird".

Zu guter Letzt muss noch das "riesige Heer der Gutmenschen" aufmarschieren, die wahlweise als "Unpolitische", "Egoisten", "Individualisten", "Hedonisten", "Duckmäuser", "Angsthasen" und "Obrigkeitsgläubige" bezeichnet beziehungsweise beschimpft werden. Solche verschwörungstheoretische Denunziation der angeblichen Machenschaften der Eliten, verbunden mit der dramatisierenden Beschwörung von Krise und Niedergang, kommt mir doch reichlich populistisch daher. Das nennt man wohl ein klassisches Eigentor, lieber Herr Schwär.

Und bevor Sie künftig die "Diktatur"-Keule schwingen, sollten Sie besser einmal den Blick auf das Deutschland der Jahre 1933 bis 1945, auf die SBZ/DDR zwischen 1945 und 1989 und aktuell in die Richtung der Türkei, nach China oder Nordkorea wenden. Dann wissen Sie, was eine Diktatur ausmacht und wie wertvoll es dagegen ist, in einer Demokratie ungestraft Leserbriefe wie den Ihren veröffentlichen zu können. (Boris Diem, Ludwigshafen)

Die rechten Ideologen haben trotz der augenblicklichen positiven Entwicklung allzu viel Zustimmung, wie die Leserbriefschreiber demonstrieren. Herr Schwär will mit der Ablösung der "rot-grünen Merkel-Diktatur" durch FDP und AFD das riesige Heer der Gutmenschen (Unpolitische, Egoisten, Individualisten, Hedonisten, Duckmäuser, Angsthasen, Obrigkeitsgläubige) durch eine einzig wahre Politik befreien und uns zu wertvollen mitdenkenden Menschen machen, wie es diese Leserbriefschreiber schon sind. Geht's noch? Herr Zimmermann meint, Popper vereinnahmen zu müssen, der die Abwahl einer Regierung für das wichtigste Kennzeichen eines demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates hält. Das ist richtig, wenn es um Demokraten geht, die Demokraten ablösen. Wurde nicht in unserer Geschichte schon einmal durch eine Wahl eine Horrorherrschaft errichtet?

Eine scheinbar klinisch reine Argumentation, die den Extremisten, die selbst von Petry nicht geleugnet werden, den Steigbügel hält, kann unserer Demokratie gefährlich werden. Wer behauptet, die Probleme der Zuwanderung, die Angst vor der Kriminalität von Flüchtlingen und die Schwächen der Integrationspolitik würden ignoriert, verkennt das Engagement der Bürger und der Politik, die vielfältigen Anstrengungen um menschliche Lösungen für eine globale Problematik und betreibt Stimmungsmache für radikale Scheinlösungen.

Herr Latell informiert uns, gefühlt jede Woche, über die "richtigen" Positionen der AfD. Mit seiner Interpretation von juristischen Entscheidungen versucht er es wieder im jüngsten Leserbrief. Seine Behauptung "Fakt ist, der EuGH (Europäische Gerichtshof) hat die Grenzöffnung durch Merkel als illegal im Sinne der Dublin-III Verordnung bezeichnet" ist eindeutig falsch.

Der EuGH hat in Bezug auf Regierungshandeln klar festgestellt, dass jeder Mitgliedsstaat der EU sich für Humanität entscheiden kann, dann aber nach Dublin-III auch für das Asylverfahren verantwortlich ist. (Günther Kirchner, Mannheim)

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Christian Unger
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