Ein zweites Trauma

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Touristen gehen am 31. Dezember 2016 am Kölner Dom durch eine Lichtinstallation des Berliner Künstlers Philipp Geist. Ein Jahr nach den massenhaften Übergriffen in der Silvesternacht feierte Köln das neue Jahr in einer Sicherheitszone.

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Zum Kommentar "Starker Staat" von Hagen Strauß vom 13. Dezember:

Dem Kommentar von Hagen Strauß kann man nur voll und ganz zustimmen. Er analysiert die Silvesterereignisse in Köln vor einem Jahr sachlich, aber schonungslos offen und macht Vorschläge, wie derartige Vorfälle zukünftig verhindert werden können. Gleichzeitig verschweigt er nicht das Versagen vieler politischen Akteure - auch von Medien - im späteren Umgang mit den Ereignissen.

Trotz großer Worte des Justizministers und anderer führender Politiker, die den Tätern die "volle Härte des Gesetzes" und "die sofortige Ausweisung" androhten, ist bis heute nur eine verschwindend kleine Zahl verurteilt worden. Für die Opfer bedeutet dies, ein zweites Mal traumatisiert zu werden, sie waren schutzlos den Übergriffen ausgeliefert und müssen dann erleben, dass die allermeisten Täter straffrei davonkommen.

Vertrauensverlust begründet

Insofern ist die Schlussfolgerung im Kommentar vom 3. Januar 2017 zur diesjährigen Silvesternacht, "Das Vertrauen kehrt zurück", zu optimistisch. Die damaligen politischen Akteure sind weiterhin im Amt, sie sind sich keiner Schuld bewusst, da sie ja angeblich nichts gewusst hätten. Nur der damalige Polizeipräsident musste als Bauernopfer seinen Posten räumen.

Auch wenn es von politischer Seite heftig bestritten wird, ja, in Köln hat der Staat, seine Repräsentanten, versagt. Wenn man sich heute die Berichte nochmals anschaut mit den Aussagen von Opfern und überforderten Polizisten, der "Ahnungslosigkeit" der politisch Verantwortlichen vor dem Untersuchungsausschuss, dann ist dieser Vertrauensverlust sehr wohl begründet.

Die Kritik der Grünen-Chefin Simone Peter am diesjährigen Polizeieinsatz macht zudem deutlich, dass der Blick durch die ideologische Brille blind macht für die Realität. In einem Interview mit dem "Mannheimer Morgen" sagte der Münchener Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld: "Die Distanz zwischen Bürgern und politischer Klasse war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie so groß wie heute: Vertrauen in die Politik auf dem niedrigsten Stand". Das Interview erschien schon am 20. August 2010! Es hat nichts an Aktualität verloren.