Politiker und Experten warnen vor verfrühten Lockdown-Lockerungen

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dpa
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Im Februar 2020 gibt es kaum jemanden in Deutschland, der sich so gut mit Infektionskrankheiten auskennt wie Lars Fischer. Und wenige, die so gefährdet sind, an Covid-19 zu erkranken - oder zu sterben. © Fabian Strauch

Berlin. Vor den Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch warnen Politiker und Mediziner vor vorschnellen Lockerungen in der Corona-Pandemie. Grund sind Sorgen vor der Ausbreitung ansteckenderer Virusmutationen, die für ansteigende Infektionszahlen sorgen könnten. Unterdessen wächst laut einer Umfrage die Unzufriedenheit der Bürger mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung. In den ersten Bundesländern, so in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Thüringen, sind am Samstag Lieferungen des Corona-Impfstoffs des Herstellers Astrazeneca eingetroffen. Die Bundesregierung zeigt sich offen dafür, Impfstoffherstellern stärker unter die Arme zu greifen.

Nach den Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna ist der Astrazeneca-Impfstoff der dritte, der in Deutschland verfügbar ist. Der Mainzer Covid-19-Impfstoffhersteller Biontech hat mitgeteilt, Produktionskapazitäten ausbauen zu wollen. Dafür bräuchte er aber finanzielle Unterstützung vom Staat. "Im vergangenen Jahr hätte uns mehr Geld nicht geholfen, weil wir den Produktionsprozess im großen Maßstab erst sicher aufstellen mussten", sagte Finanzvorstand Sierk Poetting dem "Spiegel". "Jetzt aber würde Geld helfen. Erst recht, wenn wir für nächstes Jahr eine Kapazität von drei Milliarden Dosen antizipieren sollen, wie es diese Woche bereits angefragt wurde."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: "Biontech hat auf dem Impfgipfel einen möglichen Finanzbedarf von bis zu 400 Millionen Euro für die Reservierung von Kapazitäten und Rohstoffen bis in das nächste Jahr hinein dargelegt. Wir sind im Austausch mit dem Unternehmen, um dies weiter zu konkretisieren." Darüber spreche man auch mit anderen Herstellern von Impfstoff. "Wir wollen für den Fall problematischer Mutationen oder notwendiger Auffrisch-Impfungen auch für 2022 ausreichend Kapazität für Deutschland, Europa und die Welt sichern." Ein Regierungssprecher sagte der dpa: "Wir werden alles Notwendige zur Unterstützung tun." Finanzminister Olaf Scholz (SPD) äußerte sich im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag) ähnlich: "Am Geld wird die schnellere Beschaffung von Impfstoff jedenfalls nicht scheitern."

Der Lockdown zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist bislang bis zum 14. Februar befristet. Wie es weitergeht, beraten Bund und Länder am Mittwoch. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der "Passauer Neuen Presse" (Online/Samstag), er warne davor, gleich auf Bundesebene eine Öffnung oder Lockerung ins Auge zu fassen. "Klug wäre es, gemäß einem hoffentlich inzwischen vorliegenden Plan lokal und regional ab Unterschreiten der magischen Inzidenzgrenze von 50 Lockerungen vorzunehmen. Das hieße, dass man sich in einer Stadt oder einem Landkreis, in dem die Inzidenz schon bei 25 liegt, freier bewegen können sollte als in anderen mit höchsten Infektionsraten." Die Inzidenz beziffert die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Samstag auf dem weitestgehend online organisierten CDU-Landesparteitag im niedersächsischen Hildesheim: "Wenn die Zahlen sinken, und das tun sie, dann haben wir mehr Perspektiven (...)". Doch sollte man nichts überstürzen. "Sicherheit ist - glaube ich - am Ende der beste Ratgeber." CDU-Bundeschef Armin Laschet betonte, dass bei der Lockerungs-Debatte Kitas und Schulen im Mittelpunkt stehen müssten.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem "Münchner Merkur" (Samstag), schnelle Lockerungen sehe er noch nicht. "Aber wenn man über die Reihenfolge von Lockerungsmechanismen diskutiert, muss nicht zwingend die Schule zu Beginn stehen", erklärte er. "Ich weiß, dass die Forderungen danach besonders stark sind und es dafür auch gute Gründe gibt, aber ein mögliches Infektionsgeschehen in den Schulen stellt aus meiner Sicht kein unwesentliches Risiko dar."

Derweil wächst Unmut der Bürger über das Krisenmanagement: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur bewerten nur noch 50 Prozent der Befragten das Regierungshandeln in Berlin eher positiv. Im Oktober waren es noch 57 Prozent, während der ersten Corona-Welle im April 67 Prozent. Heute zeigen sich 19 Prozent "sehr unzufrieden" mit dem Krisenmanagement der Regierung und weitere 26 Prozent "eher unzufrieden". 5 Prozent machen keine Angaben.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte im Gespräch mit der "Rheinischen Post" (Samstag) an, am 18. April eine zentrale Gedenkfeier für die Toten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie abhalten zu wollen. In Deutschland sind seit Beginn der Pandemie vor rund einem Jahr mehr als 60 000 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben, wie das Robert Koch-Institut am Samstag mitteilte.

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