Interview mit UFA-Chef Nico Hofmann

"Heute ist erhöhte Achtsamkeit geboten"

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Nico Hofmann wird am 24. Januar im Nationaltheater Mannheim die „Mannheimer Reden“ fortführen. Der in Mannheim aufgewachsene UFA-Chef führt weiter, was Ministerpräsident Winfried Kretschmann im April 2017 begonnen hat. Sein Thema: „Mehr Haltung, bitte!“ Im Interview skizziert er, worum es ihm in seiner Rede geht: Wir brauchen große Leitfiguren und einen Diskurs über moralische Grundbegriffe. Für sie, sagt er, stehe er auch als Verantwortlicher des UFA-Programms.

Herr Hofmann, als UFA-Chef kennen Sie sich da doch sicherlich aus: Leben wir in guten oder in schlechten Zeiten?

Nico Hofmann: Wir leben in einer ambivalenten Zeit. Wirtschaftlich stehen wir in Deutschland extrem gut da, gleichzeitig aber tanzen wir auf dem Vulkan. Es gibt viele Themen, die mich beschäftigen - darunter ganz stark die Europapolitik und natürlich die Politik in Deutschland, die beide durch einen starken Egoismus geprägt sind. Unter dem trügerischen Deckmantel unserer wirtschaftlichen Sicherheit schlummern viele moralischen Fragen.

Viele in Deutschland, aber auch weltweit, in den USA, der Türkei oder im Gaza-Streifen, um nur einige Beispiele zu nennen, denken zumindest: Die Zeiten sind schlecht. Bei Ihrer Mannheimer Rede fordern Sie „Mehr Haltung, bitte!“ Wie geht das?

Hofmann: Wir können gar nicht anders, als Haltung zu beziehen. Trump, Erdogan oder die rechtspopulistischen Strömungen in Deutschland und Europa - wir könnten jeden Tag moralische Debatten neu anstoßen und sind gefordert, eine moralische Haltung einzunehmen. Wie wir leben und miteinander umgehen wollen, das ist das zentrale Thema meiner Rede. Deutschland hat inzwischen eine so starke Position in Europa und der Welt, eine neutrale Haltung ist da nicht hinnehmbar.

Die erste Mannheimer Rede hielt Ministerpräsident Winfried Kretschmann am 9. April 2017. Kennen Sie sie?

Hofmann: Ja, ich finde sie ganz ausgezeichnet. Ich bin ein großer Fan von Kretschmann. Er hat eine ganz neue Tonalität in die Landespolitik gebracht und ist absolut integer. In seiner Rede gibt es viele kluge Gedanken, die mir offen gestanden Lust gemacht und den Anstoß dazu gegeben haben, selbst in Mannheim zu sprechen.

Kretschmann forderte sehr viel Mut und Treue zu dem, wofür unser Land steht: Demokratie, Offenheit, Menschlichkeit. Und Haltung hat ja auch immer etwas mit Weltanschauung zu tun. Zu welchen Themen wünschen Sie sich mehr Haltung?

Hofmann: Zur Politik und zu der Aufgabe, die Zukunft unserer Gesellschaft gemeinsam zu gestalten. Nehmen wir einmal die UFA: Mit unseren Programmen erreichen wir Millionen von Zuschauern, darunter sehr viele Jugendliche. Damit haben wir automatisch eine große Verantwortung. Jede fiktionale Erzählung, jedes Unterhaltungsformat nimmt Einfluss auf die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Deshalb müssen wir uns immer wieder hinterfragen, welche Haltung wird damit transportiert? ln „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ etwa behandeln wir Themen wie Identitätsbestimmung, Sexualität, die Flüchtlingsdebatte, aber auch häusliche Gewalt und vieles mehr. Damit beziehen Sie zwangsläufig Position, zu der Sie dann auch öffentlich stehen müssen.

Und wie bezieht der Bürger Stellung, wenn mal gerade keine Wahlen sind?

Hofmann: Jeder Einzelne muss sich dieser Aufgabe täglich stellen, egal, ob es um Lokalpolitik geht oder die Liedtexte von Xavier Naidoo. Und die Mannheimer beziehen ja zum Glück sehr gern Stellung. Auch wenn, wie mir Oberbürgermeister Peter Kurz kürzlich sagte, immer weniger von ihnen zur Wahl gehen.

Naidoo ist das Stichwort, Bono, Franz Beckenbauer und Helmut Kohl ließen sich hinzufügen - Personen, die für etwas stehen, Haltung zeigen - und doch nicht lupenrein sind und enttäuscht haben. Wie moralisch unangreifbar und haltungsgefestigt ist eigentlich der Ufa- Boss Nico Hofmann?

Hofmann: Es ist ein Riesenunterschied, ob wir über Moral reden oder über Haltung. Beckenbauer würde sagen, ich habe mein ganzes Leben mit meiner Haltung gelebt. Auch Xavier (Naidoo, d. Red.), mit dem ich privat eng befreundet bin, kann Ihnen bestimmt erklären, welche Haltung er einnimmt. Moral ist dann etwas Anderes. Ich will mich auf keinen Fall über andere erheben und den Moralapostel spielen, aber man kann bestimmt sagen: Es gibt ein Problem, wenn Haltung und Moral nicht mehr übereinstimmen. Auch ich selbst muss immer wieder für mich überprüfen, ob bei mir diese noch deckungsgleich sind.

Fehlen uns Institutionen und Integrationsfiguren wie der Papst oder Obama, die für Moral stehen, für Visionen einer besseren Welt, und die das auch als Haltung einfordern? Früher waren das die Kirchen und Gewerkschaften. Wer übernimmt die moralische Bildung - ist es am Ende der Film?

Hofmann: Film und Fernsehen spielen eine große Rolle. Die Macht der Bilder hat immer auch eine gesellschaftlich-soziale Dimension. Wir zeigen Haltung durch die Geschichten, die wir erzählen. Deswegen will ich auch keine Programme, die Voyeurismus bedienen oder fremdenfeindlich sind. Wenn Sie ein großes Unternehmen führen, brauchen Sie Diversität, die nach außen, aber vor allem auch nach innen gelebt wird. Aber Sie haben recht: Es fehlen große Leitfiguren!

Auch von der katholischen Soziallehre mit dem Gemeinwohlgedanken, der Solidarität und Subsidiarität hört man nur noch wenig. Die politischen Parteien erreichen keine richtige Bewegung mehr, wie sie in Frankreich zuletzt Emmanuel Macron geschafft hat - ohne Partei. Woran liegt das?

Hofmann: Das ist ein gutes Beispiel. Wer das „Spiegel“-Interview mit Macron gelesen hat - das war schon eine Benchmark in Sachen Europapolitik und Frankreichs Verhältnis zu Deutschland. Der Stolz der Franzosen war verletzt. Jetzt atmet das Land wieder auf. Macron ist sehr heilsam für Frankreich und auch für Europa. Im Grunde suchen wir auch in Deutschland immer nach starken politischen Führungspersonen mit Haltung. Mit Jens Spahn und Christian Lindner erleben wir vielleicht den Anfang eines Generationenwechsels. Ich wünsche mir, dass diese Generation, egal übrigens welcher Partei, mit einem klaren moralischen Kompass auftritt, mit Persönlichkeit und Haltung.

War Haltung früher einfacher?

Hofmann: Vor 20, 30 Jahren war die Situation politisch noch aufgeheizter, man wurde förmlich gezwungen, Haltung zu beziehen. Wenn ich mich an meine Jugend erinnere, denke ich an Terrorismus, Pershing-Raketen, Cruise Missiles, Menschenketten. Wir haben unter einem ganz anderen Druck gelebt. Nehmen wir Tschernobyl. Damals gab es existenzielle Debatten, entstanden mit der Atomkraft, dem Kalten Krieg und der Frage, wie wir eigentlich leben wollen. Gerade steuern wir wieder solchen extremen Zeiten zu. Deswegen ist heute erhöhte Achtsamkeit geboten.

Ja, und die Globalisierung und Digitalisierung haben eben die Welt auch komplexer und unübersichtlicher gemacht. Begriffe wie gut, böse, richtig oder falsch sind nicht mehr so leicht zu trennen. Vielleicht ist es auch einfach schwieriger geworden, eine eindeutige Haltung für sich zu finden…

Hofmann: Das stimmt alles, aber ich würde es trotzdem umkehren. Je größer und komplexer die Welt und Reizüberflutung sind, desto mehr brauchen Sie einen inneren Kompass. Die Flut von Informationen fordert vielmehr dazu heraus, sich zu fragen: Was wähle ich aus? Was höre ich mir an? Welche Bedeutung haben Nachrichten, Journalismus und Zeitungen überhaupt noch, wenn sie Neuigkeiten lediglich ungefiltert weitergeben, ohne sie einzuordnen und Hintergründe zu erläutern? Je komplexer die Welt wird, desto mehr brauche ich klare moralische Grundbegriffe. Dazu braucht es einen Diskurs. Nur wenn wir miteinander streiten, lernen wir, die eigene Haltung mit der des Gegenübers in Dialog zu setzen. Ich habe in letzter Zeit einige Menschen in den Tod begleitet und bemerkt, über wie wenige moralische Grundprinzipien unser Leben am Ende definiert ist. 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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