Aufschwung Ungarns kam nach EU-Beitritt

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Zum Leserbrief „Ungarn hat andere Prioritäten“ vom 5. Mai:

Selbstverständlich kann Ungarn „andere Prioritäten“ haben. Nur: Durch den Beitritt des Landes im Jahr 2004 zur „Europäischen Union“ hat sich das Land verpflichtet, die Prinzipien dieser „EU“ zu übernehmen – und einzuhalten. Ich zähle hier einige davon auf:

Subsidiarität: Die EU will kein zentralistischer Superstaat sein, sie will nur Zuständigkeiten übernehmen, die die Mitgliedsländer ihr zuweisen. Von einem irgendwie gearteten „Diktat aus Brüssel“ kann nicht die Rede sein.

Supranationalität: Hier verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Teile ihrer nationalen Souveränität an die EU abzutreten.

Rechtstreue: Das gesamte Prinzip der EU kann nur funktionieren, wenn sich alle Mitgliedstaaten an die vereinbarten Regeln halten.

Solidarität: Obwohl es nicht Anspruch der EU ist, alle Staaten auf dasselbe ökonomische Niveau zu bringen, ist die Union dem Grundsatz der Solidarität verpflichtet. Hierzu zählt die Strukturpolitik, die wirtschaftlich schwache Regionen zielgerichtet fördert.

Die Briten sind konsequent

Das alles ist in Veröffentlichungen im Netz nachzulesen. Wenn nun Ungarn oder Herr Orban lediglich daran interessiert sind, sich die Rosinen aus der Zugehörigkeit zur EU zu picken und den Rest ignorieren wollen, dann sollte man dort in Budapest eben versuchen, einen „Magyarexit“ auf den Weg zu bringen.

Die Briten sind da konsequent, eine Mehrheit hat sich für diese ihre „Befreiung“ vom europäischen Joch entschieden. Die angeführten Argumente vom wirtschaftlichen Aufschwung Ungarns, die praktisch alleine auf Orban zurückgeführt werden, sind so nicht stimmig. Der Aufwärtstrend begann nach dem Beitritt des Landes zur EU im Jahr 2004. Sich dies ans Revers zu heften, ist von Orban schlicht unverfroren.

Die relativ aktuellen Wirtschaftsdaten zeigen es: 81 Prozent der Ausfuhren gehen in die EU-Staaten, 28 Prozent alleine nach Deutschland. 78 Prozent der Einfuhren stammen aus EU-Staaten, 26 Prozent davon aus Deutschland.

Drang zum Nationalismus

Zu Ungarns (sprich Orbans) anderen Prioritäten gehört aber auch etwas, das in letzter Zeit zunehmend die Verhältnisse in Europa zu verändern droht: der unselige Drang zurück zu Nationalismus, Dirigismus, zur sogenannten „Identität“ – inklusive der Ausgrenzung „der Anderen“. War doch der Entschluss, eine EU zu gründen, auch die bittere Erkenntnis aus den fürchterlichen Folgen zweier Weltkriege.

Und er hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir in Mitteleuropa seit 70 Jahren ohne Krieg leben können. Alleine das sollte uns unbedingt an dieser Idee festhalten lassen. Herrn Orban und die Ungaren aber auch.

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2rNc7Fc