Brauchen eine neue Spielstätte

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Das Mannheimer Nationaltheater ist marode und steht vor einer teuren Generalsanierung. Immer mehr Bürger könnten sich aber auch vorstellen, dass das Gebäude aus der Nachkriegszeit abgerissen - und an einem anderen Ort ein neuer, funktionaler Bau geschaffen wird.

© Pr0ßwitz

Zum Artikel "Soll das Theater abgerissen werden?" vom 28. 7.:

Wenn man die planerischen und insbesondere "ausführenden" Qualitäten der Mannheimer Verwaltung in Vergangenheit und Gegenwart (Stichwort Mitzlaff-Bau damals oder Plankenumbau heute) betrachtet, könnte man schon auf den Gedanken kommen, ob Schiller nicht auch ohne ein Mannheimer Nationaltheater weiterleben könnte - zumal die heutige Jugend die oft mühsam aufgemotzten Langweiler- und Statusveranstaltungen nur widerwillig besucht.

Mannheim ist mittlerweile die Unterstadt Baden-Württembergs, die ein schönes Zuhause für Bedürftige aus aller Welt geworden ist, die Erdogan zuwinken und nicht Schiller oder Strauß. Überlassen wir diese teuren Spielstätten lieber Topstädten wie Heidelberg mit guter Struktur und Zukunft. Ein Witz ist noch: Es gehen 20 bis 30 Millionen an ein Architekturbüro, das an Mannheims traurigem Zustand heftig mitgewirkt hat - wofür haben wir denn teure Beschäftigte im Technischen Rathaus, die irgendwann einmal einen 70-Millionen-Neubau beziehen? Man kann nur den Kopf schütteln und die Mittelschicht arbeitet bis Juli eines Jahres für Zwangsabgaben. Aber ich nehme an, so viel Offenheit ist aber heutzutage Populismus ... (Bettina Kobbelt, Mannheim)

Nun liegen Fakten vor uns. Die Sanierung wird mindestens 180 Millionen (Stand heute geschätzt) plus 20 Millionen für den Spielbetrieb während der Sanierung. Ist da eine Sanierung des Baus aus der Zeit zehn Jahre nach Kriegsende noch sinnvoll? Die BASF hat vorgemacht, dass ein interessanter Bau (das Verwaltungsgebäude) aus dieser Zeit heute nicht mehr zu sanieren ist, weil er räumlich, den heutigen Vorschriften zur Sicherheit, Brandschutz und so weiter nicht entspricht.

Die drangvolle Enge für die Abteilungen, die fehlenden Fluchtwege für Chor und Orchester, die mangelnde Sicherheit bei Brand, die Bestuhlung im Parkett, die heute nicht mehr genehmigt würde, der Lastenaufzug, der Kulissen heutigen Zuschnitts nicht durch das enge Mittelportal bringt und so weiter. Die Liste der Mängel ließe sich beliebig fortsetzen. Das Gelände hin zum Ring ist heute mit Platten versiegelt und nutzlos - hier war früher einmal Parkplatz für Mitarbeiter. Mannheim braucht eine neue, zeitgemäße Spielstätte! (Joachim Vogel, Mannheim)

Anke Philipp fragt nach dem Theater der Zukunft und wie der Bau für so ein Theater aussehen müsste. Großartig - das könnte eine Debatte werden. Eine kulturelle Vision, wo sonst eher das Bewahren des Altbekannten und die Produktion des Ewiggleichen erfolgreich betrieben wird. Sicher ist, dass sich die Zukunft des Theaters nicht mit Beton bauen lässt. Auch das "demokratische Theater", das übrigens nicht die architektonische Idee Webers, sondern Mies van der Rohes war, wurde in der Geschichte des Hauses nie umgesetzt.

Und da liegt das Problem: Wenn die Kunst die letzte Bastion der Egomanen und Autoritären ist, dann kann Architektur dieser im Wesen demokratiefeindlichen Institution nur ein Mäntelchen umwerfen. Das Nationaltheater ist ein großartiger architektonischer Wurf, wie Peter W. Ragge richtig schreibt, genau wie die Multihalle, aber es gilt hier wie dort: Architektur ist immer nur so gut wie der gesellschaftliche Diskurs.

Soll heißen: So lange die Institution Stadttheater und ihr Fetisch, die künstlerische Handschrift, nicht in Frage gestellt wird, so lange wird hier auch kein Theater der Zukunft entstehen. Nicht mal 2000 Meter Luftlinie entfernt kann man sich dagegen anschauen, wie die Zukunft aussehen könnte: Zeitraumexit versammelt Mal 600 Leute im Ratssaal der Stadt, um sich von Migranten Kultur erklären zu lassen, macht Ausstellungen über die Kunst geistig Behinderter oder bläst ein Iglu auf der Schönau auf. Und ab Herbst dieses Jahres kann jeder und jede das Haus für vier Wochen bespielen - die radikale Demokratisierung der Institution als Allmende. Das Theater der Zukunft ist flüssig, flüchtig, kollaborativ und überraschend, und es ist dabei oft alles andere als Kunst. (Jan-Philipp Possmann, Mannheim)

Mut hat sie ja, Ihre Redakteurin Anke Philipp, man könnte aber auch sagen: Sie schreibt sich gerade um Kopf und Kragen. In Mannheim, wo bürgerschaftliches Engagement mit ausschlaggebend war für den ersten Theaterneubau der Nachkriegsgeschichte, und dies in einer Zeit, als die Kriegsschäden der eigenen Häuser und Wohnungen der Bürger noch keineswegs alle beseitigt waren, jetzt den Abriss dieses denkmalgeschützten Hauses zur Diskussion zu stellen - das kommt mir vor, als empfehle man uns Bürgern den kulturellen Selbstmord.

Ich war schon entsetzt über die Gleichgültigkeit, mit der die Mannheimer Stadtoberen den Verfall der Multihalle mit ihrem architektonischen Juwel, der grazilen netzförmigen Holzdecke, billigend in Kauf genommen haben. Erst in letzter Stunde und auf internationalen Druck hat die Stadt die Blamage abgewendet und ihre Haltung revidiert. Geht das jetzt mit dem NTM wieder los?

Für die mittleren Hunderttausend

Wenn Ihr Leserbriefschreiber M. Brosch ("Schule hat es nötiger", "MM" vom 27. Juli) meint, das sei doch nur ein Haus für die "oberen Zehntausend" und meistens halb leer, dann war der Betreffende noch nie oder seit Jahren nicht mehr im NTM. Nein, da sitzen nicht die oberen Zehntausend, die brauchen das NTM nicht, die jetten nach Bayreuth, Salzburg, zur Elphie in Hamburg oder nach Paris und London. In Mannheim sitzen die mittleren Hunderttausend, die auch sonst das kulturelle Leben dieser Stadt tragen. Ich warne davor, dieses breite, kulturell engagierte Bürgertum durch Abriss-Phantasien zu provozieren. Im Gegenteil, lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir den Spendenboom der 1950er Jahre heute noch einmal aktivieren können. Was damals zu schaffen war, das schaffen wir auch heute. (Manfred W. Hellmann, Viernheim)

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