Das sagen Leser zur Debatte über Grenzen

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Zum Debattenbeitrag „Welche Rolle spielen Grenzen in unserer Gesellschaft, Herr Gutzmer?“ vom 1. September:

Wenn Gutzmer von Grenzen spricht, geht es, so meine Sicht, um Grenzen, die zu allen Zeiten bei uns Menschen in den Köpfen entstanden. Das Lehnwort aus dem Altpolnischen – granica – ist der Rand eines Raumes, als ein Trennwert, eine Trennlinie oder eine Trennfläche. Insofern können Grenzen geografische Räume begrenzen, aber nicht bloß diese. . . Viel wichtiger ist es, die Frage zu stellen, warum Menschen Grenzen aufzeigen? Zunächst sind für uns Grenzen Linien, oft gedachte, die Staatsgrenzen dokumentieren. Betont wird damit die Eigenständigkeit und Souveränität. Doch damit beginnt es bereits. „Staatsgebilde“ werden abgegrenzt, weil Politiker, damals wie heute, ihren Machtanspruch signalisieren. Es ist ihnen wichtig, dass jeder Fremde diese Grenzen wahr-nimmt und nicht überschreitet; es sei denn, das Signal steht auf Grün.

Jahrelange Anwendung

Weder ein neuer, geschweige denn ein aktueller Standpunkt wird mit dieser Vokabel verknüpft; nein, es war bereits über Jahrtausende geübte Praxis. Ein Gebot, das von einer höheren Instanz ausgehende Willenskundgebung in schriftlicher oder mündlichen Form diktierte und den Charakter eines Befehls oder einer Anweisung hatte. Geändert hat sich bis heute nichts. Physische Grenzen sind ebenbürtig mit psychischen, ja sie bedingen sich gar. Wir könnten drüber streiten, ob der Ursprung im Körper oder der Seele zu finden ist. Am Ende bleiben es aber immer sozial konstituierte Räume, die als wichtig erachtet werden. Sie entwickelten sich, bedingungsloser als je zuvor, zu einem Schutzwall, der Mächtige, aber auch Wohlhabende, vor Angriffen von außen bewahren soll. Dabei spielt häufig die Ausgrenzung die tragende Rolle. Ausgrenzung, mit der symptomatisch gewarnt wird: bis hier hin und nicht weiter. Innerhalb dieser Grenzen befinden sich Menschen, je nach Staatsform – Verfassung, immer wieder in engen Grenzen, zwar ein Stück weit frei, aber nicht wirklich frei von Zwängen. Sie sind, wie Gutzmer erwähnt, gemacht und nicht von Natur geschaffen; wie könnte es anders sein, nicht bloß sozial, sondern in erster Linie kulturell konstituiert. Wirklich grenzenlos ist also nichts. Grenzen sind sehr differenziert interpretierbar. Nach Staatsraison, Sozialaspekten, kulturellen, ökonomischen oder auch biologischen Regeln. Niemand käme dabei je auf den Gedanken, dass dies menschenverachtend sein könnte.

Und, Grenzen sind verantwortungslos, weil sie Menschen spalten, vielmals ihre sozialen Bindungen trennen und Lebensentwürfe durchschneiden. Insofern entsprechen festgelegte Einfassungen nicht zuletzt Wunschvorstellungen von Interessenvertretern, die sich durch diese – vordergründig sinnvolle – Begrenzung einen Vorteil verschaffen wollen. Ein solche, oft willkürlich festgelegte Linie, wird – die Geschichte dokumentiert es – fragil bleiben und steht so wankelmütigen Gesellschaftsteilen für ihre paternalistischen Interessen frei zur Verfügung.

Auf der anderen Seite sind soziale Grenzen ohne Frage Kernelemente des Zusammenlebens einer Gesellschaft. Ohne dieses wichtige Bindeglied würde das menschliche Miteinander per se unstrukturiert ablaufen. Allerdings, die Frage müssen wir uns gefallen lassen: Wäre es wirklich schädlicher? Heute, wie über die Epochen hinweg, schützten sich Mächtige durch Grenzen und bewahren parallel ihre Besitztümer. Sie erlauben, wie Gutzmer richtig beschreibt, gleichzeitig einen ökonomisch oder politisch motivierten Zu- und Angriff auf alles, was ihnen legitim erscheint. Insofern ist auch Donald Trump ein Kind seiner Zeit. Er lotet aus, welche Grenzen er überschreiten kann, die ihm im Rahmen seiner Machtposition für opportun erscheinen.

Köpfe schaffen Trennungen

Dass dabei persönliche Interessen eine nicht unwesentliche Rolle spielen, ist in keinem Machtbereich negierbar. Und, es gibt viel Trumps! In der Interpretation von Grenzen sind Menschen in der Tat grenzenlos. Das wird so lange die Menschheit begleiten, bis dieses System entlarvt und öffentlich diskreditiert wurde.

Halten wir fest: Grenzen entstehen vorwiegend in den Köpfen. Und wer grenzenlos denken und handeln möchte, muss die Betonmauern in diesen beseitigen. Sokrates von Athen stellte bereits vierhundert vor Christus fest: Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen. Haben wir nichts dazugelernt oder wächst uns die stetig komplexere Welt über den Kopf?  (Von Karl-Heinz Schmehr, Lampertheim)

Nur ein Trottel verhält sich wie „ein offenes Buch”. Folglich beginnt das „Sich Verschließen” aufgrund leidvoller Erfahrungen schon in früher Kindheit. Grenzüberschreitungen geschehen zwar aus vielfältigen Beweggründen, die Ausführung aber geschieht meist aus neugierigen Begehrlichkeitsmotiven heraus. Also zieht ein Individuum ebenso wie ein Staat eine Grenze: Bis hierhin und nicht weiter! Soweit legitim und verständlich. Andernfalls bauten wir keine Mauern, keine abschließbaren Türen. Im Beziehungsgeflecht hindert hoffentlich spätestens der Trauschein daran, dem anders Riechenden begehrend an die Wäsche zu gehen! Innerhalb unserer diversen Grenzpflöcke sind wir entspannt, angstfrei. Außerhalb beginnt Niemandsland oder der Besitz des Nachbarn, den ich in wechselseitigem Interesse respektiere. Wer sich schon einmal gegenüber einem Seelsorger oder einem nahestehenden Menschen über Gebühr offenbart hat, kennt den schmalen Grat des Risikos der Angreifbarkeit. Sind nur noch die Gedanken frei, ist der Hilfeheischende eigentlich schon waidwund! Professor Gutzmer bezieht seinen Beitrag in der Wochenendbeilage bewusst auf die aktuellen Entrüstungsdebatten rund um den geplanten Mauerbau zwischen USA und Mexiko. Sicherlich ist die Problematik komplex. Bedenkt man, dass im 19. Jahrhundert bis auf Mississippi (ehemals französisch) der gesamte Süden und Westen Teil des spanischen Weltreichs war und nicht nur in heutiger Denke durch unrechtmäßige Eroberungskriege und Daumenschrauben dem US-Imperium einverleibt wurden, ist eine gewisse Häme angebracht, wenn heutige Mittelamerikaner versuchen, in das Land ihrer Vorväter zu gelangen. Allerdings sollten wir Europäer fein demütig bleiben: Solange die Gefälle der Lebensverhältnisse so groß bleiben wie derzeit, gieren viele nach den Ländern, in denen vermeintlich Milch und Honig fließen. Also sollten wir uns zum Selbstschutz befleißigen, Migrationsursachen zu beseitigen! Erst dann machen wechselseitige Begehrlichkeiten befruchtenden Sinn – ergänzt durch löcherige Grenzen und selektive Offenheit der Herzen!  (Von Andreas Weng, Mannheim)

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2M41a9z

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