Zum Artikel „Verband pocht auf strenge Noten“ vom 8. Januar:
Der deutsche Philologenverband fordert strengere Bewertungen der Abiturienten in Deutschland und geht davon aus, dass über strengere Bewertungen junge Menschen besser auf das Studium und Arbeitsleben vorbereitet werden. Gänzlich außer Acht gelassen wird jedoch, dass junge Menschen gerade in der Vorbereitung auf das Abitur unter extremen Leistungsdruck stehen und dies über strengere Bewertungen nur noch erhöht würde.
Bereits mit der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre wurde der Leistungs- und Lerndruck auf junge Menschen vergrößert und hinzu kommt, dass über die heutige Struktur unseres Bildungswesen den Jugendlichen vermittelt wird, dass nur derjenige mit besonders guten Leistungen in der Schule auch Erfolg im späteren Arbeitsleben haben wird.
Das System der Benotungen und der wachsende Fokus auf die Defizite der Lernenden verlieren den Blick für die individuellen Stärken unserer Jugendlichen. Die Annahme der im Verband organisierten Gymnasiallehrer, dass durch eine strengere Benotung dem einzelnen Schüler eine realistischere Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit vermittelt wird, ist fatal: Anstatt jedem Schüler seine Schwächen aufzuzeigen, sollte es vielmehr darum gehen, die Stärken des jungen Menschen zu fördern und hierüber bereits die selbstbewusste Grundlage für eine spätere Berufswahl zu legen.
Um dies zu ermöglichen, benötigt es eine Umstrukturierung unseres Bildungswesens – inklusive einer Neugestaltung von Fächerverbünden. Grundfächer wie Mathematik oder Deutsch sollten auch weiterhin Pflichtfächer für jeden Schüler sein. Was spricht jedoch dagegen, nach individuellen Fähigkeiten wählbare Fächerverbünde einzuführen? Das Einzige, was hierüber nicht mehr gewährleistet wäre, ist das vergleichende Werten unseres aktuellen Schulsystems und dies ist ein altes Denkmuster unserer Gesellschaft.
Menschen sind jedoch nun einmal nicht alle gleich und sollen es auch nicht sein. Ein guter Handwerker muss keine Astrophysik beherrschen, ebenso wenig wie ein Astrophysiker auch Elektriker sein muss. Über die wählbaren Fächerverbünde könnte der Fokus verstärkt auf die Talente der Einzelnen gelegt werden und so auch der Selbstwert des Schülers gestärkt sowie der Leistungsdruck gemindert werden. Hinzu kommt, dass eine strenge Benotung – genauso wie die Benotung an sich – darauf abzielt, Menschen nach ihrer Leistung und nach ihren Defiziten zu klassifizieren, anstatt eben die Stärken zu benennen und das Selbstvertrauen zu fördern.
Weiterhin geht der Philologenverband darauf ein, dass die Wahl der weiterführenden Schule nicht mehr den Eltern überlassen werden sollte, sondern ein bundesweit einheitlicher Test am Ende der Grundschulzeit eingeführt werden sollte. Was hätte dies zur Folge? Der Leistungsdruck aus der weiterführenden Schule würde bereits noch eklatanter in die Grundschulzeit verlagert, und nicht wenige Grundschulkinder würden von ihren Eltern angehalten, für besagten Test eingehend zu lernen, um vermeintlich größere Chancen auf späteren Erfolg zu haben.
Hinzu kommt, dass Kinder sich nicht alle im gleichen Tempo entwickeln. Manch ein Kind lernt früh zu sprechen, ein anderes jedoch früh zu laufen. So ist auch die kognitive Entwicklung nicht bei jedem gleich, jeder geht in seinem ganz eigenen Tempo. Es macht doch daher keinen Sinn, bereits nach der vierten Klasse in einem wertenden Vergleich festzustellen, was das Kind im späteren Leben einmal leisten könnte.
Die Frage sollte in der Grundschule, genauso wie in den weiterführenden Schulen lauten: Wo hat das Kind seine Stärken und wie können diese bestmöglich gefördert werden?
Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2FgJ5qd