Leserbrief - Zu "Besser als Stillstand" (FN, 21. Oktober) "Diplomatie, die zum Himmel schreit"

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Millionen von Menschen sind im nahen Osten auf der Flucht. Hunderttausende haben ihr Leben verloren.

Und vermutlich dreimal so viele Menschen sind verletzt und bekommen keine Medikamente. Auf diesem Hintergrund das Treffen in Berlin als "Politik der kleinen Schritte" zu nennen, empfinde ich als Mensch und Seelsorger zynisch.

Dass der Westen auf diese menschliche Tragödie so zögerlich und unsicher reagiert, wird ihm bestimmt noch einmal teuer zu stehen kommen.

Gewiss, da sind die Russen und die Truppen von Assadt auf der einen Seite; da gibt es auch Terroristen auf der anderen Seite; da gibt es politisch gesehen eine undurchsichtige Lage (auch nach dem Krieg). Das alles versuche ich als politisch denkender Mensch zu verstehen. Ich kann und will jedoch nicht verstehen, dass angesichts des übergroßen Leids eine Diplomatie gefahren wird, die zum Himmel schreit.

Mir kommt das Verhalten und das Vorgehen des Westens vor wie in einer Familie, wo die Eltern mit ihrem pubertierenden Kindern nicht zurecht kommen.

Es wird geredet und verstanden; aber der junge Mensch will nicht irgendwann sagen (ich nenne es einmal "gesunde") Eltern: bis hierher und nicht weiter. Sie zeigen dem eigenen Kind Grenzen auf. In der Regel ist es für beide Seiten eine Befreiung.

Wenn nun mit Putin seit Jahren gesprochen wird, ja sogar Verträge geschlossen werden; er aber die "Freiräume" nutzt (siehe oben), dann ist er doch kein gleichwertiger Partner mehr, dann muss ihm doch mit politischen Mitteln gedroht werden. Ich möchte daran erinnern, dass der Westen schon einmal Russland gedroht hat, und es zum Erfolg führte.

Heute weiß man, dass es richtig war, den Nato-Doppelbeschluss aufrecht zu erhalten. Die beiden Kanzler Schmidt und Kohl haben sich gegen den Widerstand des Volkes daran gehalten. Und es wurde abgerüstet.

Manche Historiker behaupten auch, dass es ohne diese Durchsetzung zur Wiedervereinigung nicht gekommen wäre.

Ansonsten machen wir (die Politiker, die Medien, ja das Volk) uns mitschuldig am Leid so vieler Menschen.

Wir machen uns auch schuldig, wenn wir im reichen Westen die Menschen mit unseren Spenden nicht unterstützen.

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