Erinnern an positive Geschichte

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Zum Artikel „Warum ist die Erinnerung an die Revolution von 1918/1919 gerade heute so wichtig, Herr Niess?“ vom 25. November:

Warum werden uns von deutschen Historikern oder Journalisten mit geschichtlichem Hintergrund immer nur negativ belastete Ereignisse der deutschen Geschichte als erinnerungswürdig vorgeschlagen? Der Artikel zur Novemberrevolution geht genau in diese Richtung.

Dabei hat die Aktion der Matrosen, Soldaten und Teilen der Bevölkerung im November 1918 genau eine positive Auswirkung mit historischer Dimension: Die Beendigung des Ersten Weltkrieges, was von vielen herbeigesehnt worden war. Die Revolutionäre gründeten nach russischem Vorbild Soldaten- und Arbeiterräte. Die Revolution war also von linken Gruppen geprägt und das in einer Zeit, in der in Russland ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Bolschewiken und Menschewiken, Roten und Weißen, tobte.

Taugt das zum Erinnerungskult? Die Novemberrevolution war mit der Schmach der Kriegsniederlage verbunden, selbst wenn die auch ohne dieses einschneidende Ereignis gekommen wäre. Vielleicht verstehen wir das heute nicht mehr so ganz. Aber zumindest für früher Geborene spricht auch das gegen einen besonderen Erinnerungswert (jenseits der Beendigung des Ersten Weltkrieges). Der durch die Novemberrevolution erzwungene Waffenstillstand führte ein rundes halbes Jahr später zum Friedensvertrag von Versailles, der tatsächlich mehr ein Diktat als ein Vertrag war, denn hätte ihn Deutschland nicht unterzeichnet, wäre es von Frankreich und wohl auch den anderen Alliierten mit Krieg überzogen worden.

Nein, ich werde nächstes Jahr des Endes des Ersten Weltkrieges gedenken, da damit die direkte Todesbedrohung der Soldaten und der betroffenen Bevölkerung endete. Aber ich will nicht nur an einem missglückten Vorschlag für unsere deutsche Erinnerungskultur herumkritteln, sondern schlage Ereignisse vor, die einer Aufnahme in unser allgemeines Geschichtsbewusstsein wert wären und die positive Ereignisse würdigen.

1. Der Befreiungskrieg gegen Napoleon, der im bereits erwähnten Wiener Kongress endete und bei dem das unterlegene Frankreich zu den Verhandlungen eingeladen war, ganz im Gegensatz zum Versailler Vertrag, bei dem Deutschland nur zur Unterzeichnung des fertigen Vertragswerkes erscheinen durfte.

2. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871. Dieses Datum meiden unsere Historiker wie der Teufel das Weihwasser mit der Begründung, es war ja kein demokratischer Akt der Staatsgründung, sondern eine Fürstenentscheidung und das auch noch im damals besetzten Versailles. Dabei führte es zur Vereinigung von rund 35 bis dahin ziemlich unabhängigen Staaten wie Bayern und Preußen, die nun nicht mehr gegeneinander kämpften (wie noch fünf Jahre vorher), sondern miteinander ihr größer gewordenes Land gestalteten.

Und das sehr erfolgreich: Deutschland holte andere Staaten in ganz unterschiedlichen Bereichen ein oder überholte sie sogar: Technik (Auto), Wissenschaft (Quanten-, Relativitätstheorie), Medizin (Tuberkulose-Erreger), Chemie (Haber-Bosch-Verfahren), Arzneimittel (Aspirin), Architektur (Jahrhunderthalle in Breslau, Jugendstil), Malerei und so weiter. Die Bevölkerung nahm enorm zu, von 41 (1871) auf 65 Millionen (1910) Einwohner. Deutschland war bis in die 1920er Jahre das Land mit den meisten Nobelpreisen. Was ist also am 18. Januar 1871 als Erinnerungsdatum so schlecht? Zumal die Bevölkerung die Einheit Deutschlands bereits seit den Befreiungskriegen wollte und diese dann 1871 bejubelte.

Liebe deutsche Historiker und Journalisten, nehmt euch ein Beispiel an britischen Historikern. Die schreiben über deutsche Geschichte viel positiver und anregender, ohne die Wahrheit zu ignorieren oder zu beugen. Und was ist falsch an der Idee, durch Herausstellung bestimmter positiver Ereignisse in unserer Geschichte zu mehr Identität mit unserem Land beizutragen, anstelle diese durch Verweis auf deren Schattenseiten immer weiter zu untergraben? Ein Volk möchte nicht tagtäglich durch Film, Funk und Fernsehen immer und immer wieder an die schwarzen Seiten seiner Geschichte erinnert werden. (Erwin Böhm, Ladenburg)

Dem Gastbeitrag von Wolfgang Niess zur Revolution von 1918/1919 kann ich uneingeschränkt zustimmen. Zwei seiner Aussagen möchte ich hervorheben. Wie ihm ist auch mir das „Doppelte Gedenken im ganzen Land“ am 9. November dieses Jahres aufgefallen. Warum, anders als in den vergangenen Jahren, der 9. November 1918 nicht mehr erwähnenswert war, das ist für mich nicht nachvollziehbar. Auffällig ist auch, dass das Ausrufen der Republik am 9. November 1918 für das Bundesministerium der Finanzen, verantwortlich für das Herausgeben von Münzen, im kommenden Jahr keine Gedenk- beziehungsweise Sammlermünze wert ist. Stattdessen werden Sammlermünzen zum 100. beziehungsweise 150. Geburtstag von Ernst Otto Fischer und Peter Behrens herausgegeben!

Mit Stolz gedenken

Die zweite hervorhebenswerte Aussage von Niess lautet: Es ist an der Zeit, sich zu rüsten gegen Angriffe auf unsere Demokratie. Sie ist die großartigste politische Errungenschaft unserer Geschichte. Wir verdanken sie den Männern und Frauen, die in den Revolutionsmonaten 1918/19 bereit waren, notfalls ihr Leben einzusetzen. Sie ist nicht etwa ein Geschenk, das Amerikaner, Briten und Franzosen mitgebracht haben, als sie Hitler-Deutschland niedergerungen haben.

Zurecht wird im übernächsten Absatz auch noch auf die Revolutionszeit 1848/49 verwiesen. Als überzeugter Demokrat bin ich der Meinung, dass am 9. November nicht nur der Schande von 1938 sondern, mit Stolz, auch den Ereignissen von 1918 und 1989 gedacht werden sollte. (Lothar Gottmann, Mannheim)

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