Gesamte Kalkulation bleibt unergründlich

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Zum Debattenbeitrag „Wieso kann Qualität viel billiger sein, Herr Professor Faltin?“ vom 1. Juni:

Schon Aristoteles legte Wert darauf, dass Ökonomie die Lehre vom guten Leben ist. Damals, etwa 384 bis 322 vor Christus, galten auch schon die Gesetze: was Qualität hat, ist teurer – im übertragenen Sinne. Insofern ist es nicht der Neuzeit geschuldet, dass wir uns daran gewöhnt haben für gute Produkte auch „gutes“ Geld zu bezahlen.

Wir dürfen davon ausgehen, dass die meisten Verbraucher inzwischen zumindest Kenntnis haben, dass gute Ware nur einen Bruchteil des Preises kostet! Doch wird mit der Vokabel „Qualität“ unmittelbar verbunden: das ist das beste oder bessere Produkt. Und hier, da stimme ich Faltin zu, liegt die Crux.

Allerdings erwähnt er nicht, dass auch eine gesellschaftliche Komponente eine wesentliche Rolle spielt: Bloß was teuer ist, kann gut sein. Wer würde noch immer erzählen, dass sein Produkt billig war, auch wenn es von hervorragender Qualität ist? Bloß wenige, nämlich die, die selbstsicher genug sind und ökonomisch belesen. Denn unverändert gilt in unserer Welt: teuer ist gut! Das hat sich seit den späten Sechzigern des vergangen Jahrhunderts eingebrannt und wurde über die Jahrzehnte zu einem regelrechten Dogma. Und wer möchte, gerade in der heutigen Zeit, sich dies nicht leisten können? Auch, wenn wir wissen, dass bei sehr vielen Artikeln der zigfache Preis der Herstellungskosten gefordert wird. Es ist en vogue und wird, da man gesellschaftsfähig sein möchte, akzeptiert.

Da spielt auch das von Faltin erwähnte Marketing-Monster keine wesentliche Rolle. Wer weiß schon, mit Ausnahme der Ökonomen, wie die genaue Kalkulation sich ergibt? Und wer denkt schon, wenn er „dabei sein möchte“, darüber nach, ob er sinnhaft handelt? Nur wenige ist zu vermuten! Denn im Vordergrund, und dass ist in der Tat Marketing, steht die Vermarktung eines Produktes. Das zu bestem Preis und leider, unabhängig der Schäden, die es der Umwelt zufügt.

Das von Faltin postulierte „gute Produkte, niedrige Preise und faire Behandlung aller Beteiligten“ hört sich sehr theoretisch an. Obwohl es in der Tat begrüßenswert wäre. Aber leider bedeutet Fairtrade nicht immer Nachhaltigkeit. Und genau das ist das Fatale.

Erst wenn es nicht mehr funktioniert, Ökonomie und Ökologie zu arg auseinanderdriften, werden die Eckpfeiler der Gesellschaft zerbersten. Bislang ist die Balance nicht wirklich sachlich gehalten und ein Ende nicht in Sicht. Insofern ist es Trockenschwimmen: Bei Umfragen wird stets ein Ergebnis von 80 Prozent plus X erzielt, die Umwelt mit solchen Maßnahmen zu schützen. Doch geht es an persönliche Fragen, sind es weniger als 50 Prozent.

Was heißt das? Theorie ist evaluiert und Praxis unerprobt. Oder: Heiliger Sankt Florian, verschone mein Haus, zünd’ andere an! Diese Welt hat sich zur Zeit der Antike nur unwesentlich verändert. Es ist zu befürchten, dass es unter liberal-demokratischen Strukturen keine Annäherungslösung geben wird. Solange das Angebot den Marktpreis bestimmt, kann auch Marketing genüsslich partizipieren. Denn die Neigung zur Gewinnsucht, und das ist am Ende gemeint, kannte schon in der Antike keine Grenzen. Die grundsätzliche Frage allerdings bleibt: Wollen wir wirklich solche Grenzen ziehen? Und würde es zu einer besseren Welt führen? (Karl-Heinz Schmehr, Lampertheim)

Info: Originalartikel unter https://bit.ly/2WC8nbo

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