Kassenpatienten hinreichend versorgt

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Zum Artikel „Bürgerversicherung: Was spricht dafür, was dagegen?“ und Kommentar „Zutiefst ungerecht“ vom 2. Januar:

Gar freundlich und kuschelig kommt der Begriff Bürgerversicherung daher. Gefühle von „Solidarität“ und „Zusammenhalt“ werden angesprochen. Seltsam nur, dass diejenigen, die diesen Begriff so fleißig benutzen, ansonsten weniger den (mündigen?) Bürger im Sinn haben und wahlweise lieber von Genossen oder „denen, die schon länger hier leben“ sprechen.

Leider handelt es sich um einen besonders üblen Fall von orwellschem Neusprech. Die sogenannte Bürgerversicherung ist nämlich in Wirklichkeit ein Zwangssystem, in das auch die letzten noch verbliebenen potenziellen Beitragszahler gepresst werden sollen. Großzügigerweise sollen keine Beiträge auf Erträge aus Kapitalanlagen (welche sind das bei den herrschenden Nullzinsen?) anfallen, und die Beitragsbemessungsgrenze soll erhalten bleiben. Aha.

Diese Regelungen sind mit einem Federstrich abschaffbar, wenn es die Kassenlage erfordert. Wenn es tatsächlich um den Bürger ginge, könnte man diesem ja zum Beispiel eine (echte!) Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Kassen einräumen. Aber genau das ist in einem Einheitsversicherungssystem nicht vorgesehen.

Wie solche Zwangsversicherungen in der Realität aussehen, kann man in Ländern wie Großbritannien und Schweden gut verfolgen: endlose Wartezeiten, Rationierungen und Leistungseinschränkungen. Seltsam auch, dass das schreiende Gerechtigkeitsdefizit, das jetzt auf einmal beklagt wird und in wohlfeilen Umfragen bestätigt wird, im Wahlkampf keine Rolle gespielt hat. Zum Abbau desselben könnten die Bundestagsabgeordneten in einem ersten Schritt beitragen, indem sie von den privaten Kassen in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln. Vor einigen Jahren musste Herr Lauterbach, einer der Hauptprotagonisten dieser Zwangsversicherung, peinlich berührt in einer Talkshow zugeben, dass er selbst privat krankenversichert ist.

Viel Erpressungspotenzial

In Wirklichkeit geht es um ganz andere Dinge. Zum einen klebt die Frau, die die Wahl krachend verloren hat, weiter am Amt des Kanzlers. Da bietet sich natürlich für neue/alte Koalitionspartner maximales politisches Erpressungspotenzial, indem man bestimmte Forderungen plötzlich zu roten Linien erklärt. Zum zweiten ist absehbar, dass die gesetzlichen Kassen künftig in große Schwierigkeiten kommen werden. Nachdem bereits 2017 1,5 Milliarden Euro trickreich aus den Reserven abgezweigt wurden, werden zusätzliche Beitragszahler dringend benötigt, um das System am Laufen zu halten.

Bei den Jubelmeldungen zum Höchststand der Zahl der Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde nämlich nicht gesagt, ob auch die Zahl der Beitragszahler entsprechend gestiegen ist. Zu guter Letzt soll ein Weg gefunden werden, um die 233 Milliarden Euro Altersrückstellungen der Privaten Krankenversicherung möglichst verfassungskonform plündern zu können. Damit würde dann ein weiterer noch verbliebener Kapitalstock Deutschlands zum Verplempern und Vergeuden in aller Welt freigegeben. Martin Thomas, Mannheim

Die Forderung der SPD ist eine Rückkehr in Zeiten des Kommunismus, der bekanntlich eine Diktatur war. In der Demokratie besteht eine Wahlmöglichkeit. Dies gilt auch zur Auswahl der gewünschten Krankenversicherung. Ein weiteres Handikap ist die (preußische) Bürokratie, mit denen auch Arztpraxen vom Staat überlastet werden, wie das Gros sonstiger freier Betriebe. Wartezeiten sind stets für alle bedauerlich, auch in Arztpraxen, und dies gilt auch für Privatpatienten! Die Bürgerversicherung wird keine Änderung/Verbesserung bringen. Eher das Gegenteil. Der Status der bisher bereits privat Krankenversicherten (Beamte, Politiker, Selbstständige und so weiter) wird bestehen bleiben, das heißt die Wartezeiten werden sich nicht ändern!

Warum dann diese Lügenmärchen? Das Gros der im öffentlichen Dienst tätigen Personen, und dazu zählen primär Politiker, sind in der Regel privat versichert. Wenn Frau oder Herr Minister in einer Praxis wegen einem Termin anrufen, müssen sie nicht warten und erhalten sofort einen frühzeitigen Termin. Ursache der Wartezeiten ist, dass zu viele Patienten bereits bei kleineren Wehwehchen sofort den Facharzt statt zuerst den Hausarzt konsultieren. Wen wundert es dann, dass die Facharztpraxen oft überlaufen sind? Die Aussage in dieser Zeitung – „Ausgerechnet die Finanzstärksten können sich derzeit aus dem Solidarsystem ausklinken“– zeugt nur von Neid. Günter Haaf, Mannheim

Bevor sich Deutschland für eine Bürgerversicherung entscheidet, sollte man sich zum Beispiel Österreich oder England anschauen. Ab einem bestimmten Alter, beispielsweise ab 75, gibt es dort keine Prothesen mehr. Die meisten Ärzte haben das System der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen und praktizieren nur noch privat. Die Wartezeiten sind extrem. Leider wird die Bürgerversicherung zu einem Wahlkampfthema missbraucht, da viele den Hintergrund nicht kennen.

Wer glaubt, ein Parlamentarier setzt sich zwei Stunden ins Wartezimmer, der träumt. Fragen sie doch mal Herrn Schulz zu diesem Thema. Wer Geld hat, hat nun mal Vorteile. Wir haben in Deutschland eines der besten Krankenversicherungssysteme. Das sollte man nicht kaputt machen. Sicher gibt es Dinge, die man verbessern kann. Aber mit Augenmaß. Gerhard Langendörfer, Heddesheim

Der Kommentar von Madeleine Bierlein kann nicht unwidersprochen stehenbleiben. Es gibt so viele verschiedene Aspekte, was gerecht und was ungerecht ist; wo soll man da ansetzen?

Ist es nicht auch zutiefst ungerecht, dass jemand, der sich ungesund ernährt und keinerlei Sport macht, genauso viel in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt wie jemand, der sich ausgewogen ernährt, Sport treibt und gesund lebt?

In allen Bereichen des Lebens gilt: für mehr Geld gibt es auch mehr Leistung. Das ist auch gerecht. Wenn ich eine Bluse für 15 Euro kaufe, ist mein Oberkörper genauso bedeckt, wie bei einer Bluse, die 150 Euro kostet. Ich erwarte aber, dass die teure Bluse Vorteile bietet – egal ob in Qualität oder Schnitt. Oder ist es auch ungerecht, dass jemand erste Klasse fliegt? Bei unterschiedlichem Komfort kommen beide zum gleichen Zeitpunkt am Zielort an.

Nirgendwo das optimale System

Unser Gesundheitssystem ist in keiner Weise zutiefst ungerecht – wir werden in vielen Ländern darum beneidet. Wenn man sich weltweit umsieht, gibt es nirgendwo das optimale System. Unser System hat aber den Vorteil, dass auch der Kassenpatient hinreichend versorgt wird. Das ist sogar sehr gerecht!

Die Grundversorgung ist mehr als gesichert, und es entspricht einfach nicht der Wahrheit, dass Kassenpatienten einen schlechteren Zugang dazu hätten. Wie gerecht ist es, dass die gesetzlichen Krankenkassen die gleichen Leistungen schlechter bezahlen als die Privatversicherung? Eine Anpassung der Bezahlung auf das Niveau der Privatversicherungen würde das Problem schnell lösen – dies lässt unser chronisch unterfinanziertes Gesundheitssystem jedoch nicht zu. Eine vernünftige Entscheidung benötigt fundiertes Wissen, und man kann nur hoffen, dass nicht eine willkürlich durchgeführte Umfrage unter „Branchenfremden“ für die Entscheidung einer Bürgerversicherung herangezogen wird. So muss man zum Beispiel wissen, dass – anders als im Artikel dargestellt – die Niederlassung der meisten Ärzte nicht willkürlich nach eigenem Gusto erfolgen kann, sondern einer streng geregelten Bedarfsplanung unterliegt. Michael Möllers, Weinheim

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2D4cRg4 http://bit.ly/2AFGWNJ

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