"Krankhaftes Denken gefährdet die Erde"

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Eine Fuchsmutter und ihre Welpen sorgten für Unruhe in Ilvesheim.

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Zum Artikel "Fuchsjagd mit Falle" vom 16. Mai

In den letzten Tagen erlangte Ilvesheim bundesweit traurige Bekanntheit als "Stadt der Herzlosigkeit". Die Pläne, eine Fuchsfamilie auf dem Gelände einer Kindertagesstätte kurzerhand auszulöschen, sorgten für landesweite Aufmerksamkeit. Sogar eine Petition wurde gestartet. Leider kam es in der Folge auch zu einem Shitstorm, der über die Beteiligten hinwegfegte. Dieser soll hier nicht verteidigt werden, im Gegenteil. Im Internet-Zeitalter ist so etwas zwar leider zu einem "normalen" Teil des Lebens geworden, erreicht wurde aber nur eins: Die öffentliche Aufmerksamkeit wurde von der mit dem Tode bedrohten Fuchsfamilie abgelenkt. Das dürfte den Verantwortlichen gut zu pass kommen.

Unsägliches Fehlverhalten

Tatsächlich konzentriert sich die Stadt in ihren Äußerungen nur noch auf das Verhalten anderer und "verzichtet" auf eine angemessene Selbstkritik und Aufarbeitung ihres eigenen, unsäglichen Fehlverhaltens. Daher möchten wir hier auf das eigentliche Thema zurückkommen. Eine der betroffenen Mütter hat dieses sehr treffend öffentlich in Worte gefasst: Die Absicht, die Familie zu töten, sei herzlos. Ein Jungtier habe man stundenlang in einer Falle gefangen gehalten, ehe es abtransportiert wurde. "Zum Töten", zeigt sich die Frau zu Recht tief erschüttert.

Was ist eigentlich los mit unserer Gesellschaft? Wie können Mütter verlangen, dass man Mütter mit ihren Kindern einfach so tötet, nur weil diese nicht in die menschliche Zivilisation passen? Wie ist es möglich, dass die Gemeinde mal so eben einen Antrag auf Bejagung stellt, was zwar schön verbrämt ausgedrückt ist, aber tatsächlich nichts anderes bedeutet, als dass die unschuldige Fuchsmutter und ihre Kinder, die sich einfach nur ein sicheres Plätzchen für ihr Leben wünschten, getötet werden. Und das obwohl es Alternativen gibt. Dass die Familie nicht hätte ausgesiedelt werden können, weil sie sich zu sehr an Menschen gewöhnt habe, ist Unsinn. Längst zieht es unzählige Wildtiere in die menschlichen Besiedelungen, da ihr Lebensraum durch das Eingreifen des Menschen gefährdet ist.

Und das heraufbeschworene Schreckgespenst "Fuchsbandwurm" ist Hysterie und Alibi. Die Chance, sich mit dem Fuchsbandwurm zu infizieren, entspricht statistisch etwa der Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden. Selbst in Hochrisikozonen erkrankt nur einer von mehreren hunderttausend Menschen. Der springende Punkt aber ist, dass es gar nicht darum ging, die Fuchsfamilie auf dem Gelände zu belassen, sondern lediglich darum, sie umzusiedeln statt brutal zu töten. Darf der Mensch alles für sich in Anspruch nehmen auf diesem Planeten? Ist die Achtung vor dem Leben bei den Menschen und Behörden immer noch so wenig vorhanden?

Immer noch zu viele begreifen nicht, dass es genau dieses auf den Menschen als "Mittelpunkt der Welt" fixierte, krankhafte Denken ist, welches das "System Erde" gefährdet. Was stört - wie die Ilvesheimer Fuchsfamilie - wird eben einfach ausgemerzt. Die Folgen dieses rücksichtslosen Anthropozentrismus sind unübersehbar: Unsere gegenwärtige, völlig selbstbezogene Art zu leben und unseren Planeten sowie die mit uns existierenden Geschöpfe auszubeuten, bringt schwerste Konsequenzen globalen Ausmaßes mit sich, die auch uns heute schon (be-treffen, wie beispielsweise die Erderwärmung, Flächen- und Wasserverbrauch und die damit verbundene Abholzung ganzer Öko-Systeme, die Gefährdung der Welternährung und das gravierende Artensterben sowie bedrohliche Gesundheitsprobleme wie z.B. die Entwicklung der zunehmenden Antibiotika-Resistenzen.

Es wird immer offensichtlicher: Wir stehen heute an einem entscheidenden Punkt in der Geschichte der Menschheit. Die Erde ist in Gefahr, auch und gerade durch unseren pervertierten Umgang mit unseren Mitgeschöpfen und der Natur.

In der Konsequenz bedeutet das: Nur wenn wir unsere Grundeinstellung und unseren Lebensstil ändern, werden wir die uns anvertraute Erde (und zwar für alle Geschöpfe) erhalten können. Tier- und Umweltethik ist also keineswegs ein "Luxusthema", sondern geht uns alle an, denn wir leben nicht isoliert, sondern in einem System. Wenn wir unsere Mitgeschöpfe und unseren Planeten missbrauchen, (zer-)stören wir uns selbst.

Chance verpasst

Gott sei Dank nimmt die Zahl der Menschen zu, die genau dies fühlen. Die spüren, dass etwas nicht stimmt mit unserem Umgang mit Tieren und der Natur insgesamt. Ilvesheim hat hier ganz klar die Chance verpasst, nötige Zeichen zu setzen. Dass die Ilvesheimer Fuchsfamilie überleben durfte, hat sie zwar ihrem eigenen Gespür zu verdanken, welches sie mit goldrichtigem Verstand veranlasste, die Flucht zu suchen vor ihren Häschern. Aber die bundesweite Aufmerksamkeit und Anteilnahme zeigt, dass es für herzlose Menschen und Behörden immer enger wird! Weiter so!

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