Leser-Kritik an Mesut Özil reißt nicht ab

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Zum Gastbeitrag „Deutschland zerfetzt den ungehorsamen Migranten“ vom 25. Juli:

Sie bringen Leserbriefe zum Abgang von Mesut Özil und bringen schon zum zweiten Mal ein überdimensionales Foto von Özil. Ich bitte sie hiermit, darauf zu verzichten und den freiwerdenden Platz für wesentliche Berichterstattung zu nutzen. (Hermann Thomer, Mannheim)

Dem sehr emotionalen, in einem erfrischenden Ton geschriebenen Artikel von Jagoda Marinic, deren Eltern aus Kroatien stammen, kann nicht unwidersprochen bleiben – und zwar in zwei Aspekten. Natürlich kann Mesut Özil das Recht der freien Meinung für sich in Anspruch nehmen und sich öffentlich mit Erdogan zur Schau stellen. Es kann aber grundsätzlich nicht hingenommen werden, dass er damit wenige Tage vor der Fußballweltmeisterschaft die deutsche Fußballnationalmannschaft für politische Zwecke instrumentalisiert; denn er ist nicht die Nationalmannschaft und sie gehört ihm auch nicht.

Zweitrangig ist es hierbei, dass es um Erdogan ging, ebenfalls wenige Tage vor der türkischen Parlamentswahl. Zum anderen ist zu widersprechen, dass es der deutschen Gesellschaft bei der Reaktion auf die Mesut Özil-Affäre um die „misslungene Integration“ von Mesut Özil geht. Den vielen Millionen deutschen Fußballfans, die der Weltmeisterschaft entgegenfieberten, ging und geht es vielmehr um den Fußball, und um den war es offensichtlich schlecht bestellt. Den Fußballfans wurde mit dem Bühnenauftritt schlagartig klar, dass hier die Einstellung auf den Fußball fehlte und die Politik in der Vorbereitungszeit das Drehbuch schrieb. Die Fans mussten dann auch noch erleben, dass diese Sache in der Nationalmannschaft, beim Bundestrainer und im DFB als Petitesse niedrig gehängt wurde.

Offensichtlich fehlte es auf allen Ebenen an der Fokussierung auf den Fußball. Das hat man dann in den Spielen der deutschen Nationalmannschaft in der Tat auch gesehen. Es trat eine Altherrenmannschaft auf, der zu jeder Zeit die Leidenschaft im Einsatz für die Nationalmannschaft fehlte. Wenn dies aber bei (fast) allen Spielern so zu beobachten war, kann man hierfür nicht den einzelnen Spieler verantwortlich machen, sondern die Führung. Auf den Auftritt von Mesut Özil hätte es nur eine einzige Reaktion geben dürfen, nämlich den Ausschluss aus der Mannschaft; es hätte – fünf vor zwölf Uhr – einen Ruck in der Mannschaft auslösen können. Das hierfür nötige Format fehlte den Verantwortlichen.

Natürlich kann Jagoda Marinic sich darauf berufen, dass der DFB selbst in den letzten Jahren das Projekt Nationalmannschaft stark politisiert hat, so dass der Fußball in der Öffentlichkeit zur Nebensache wurde. Man denke nur an die Fernsehspots „Wir sind Vielfalt!“, die wegen ihrer paternalistischen Aufdringlichkeit und der eintönigen Wiederholungen ihren Zweck weitgehend verfehlten. Was die Rolle des DFB und nicht weniger Medien betrifft, da muss man Jagoda Marinic sogar recht geben. Mesut Özil wurde in der Tat in eine Rolle des Vorzeigemigranten mit gelungener Integration gedrängt, und er durfte gar nicht mehr er selbst sein. So war es für ihn ein Befreiungsschlag, mit einem krachenden Rückzug aus der Nationalmannschaft diese Rolle abzuwerfen. Jedoch ist der Vorwurf des Rassismus an die Adresse des DFB nicht berechtigt; es ist vielmehr das übliche Totschlagargument, das Mesut Özils sonstige Aussagen ein wenig entwertet. (Hartfrid Golf, Lampertheim)

Es ist mir unverständlich, wie eine Frau mit kroatischen Wurzeln, die hier aufgewachsen ist und studiert hat und mit ihrer Familie – aus welchen Gründen auch immer – hier eine neue Heimat gefunden hat, was vollkommen in Ordnung ist, derart schlecht über Deutschland und seine Politik denkt und spricht. Ihr muss viel Negatives in Deutschland widerfahren sein, anders kann ich mir diese Haltung nicht erklären. Und dann diese leidenschaftliche Verteidigung von Herrn Mesut Özil. Das hat mich wirklich wütend gemacht. (Sieglinde Rude, Mannheim)

Hoffentlich ist inzwischen auch dem Letzten unter uns klar geworden, wie wenig die peinliche Blamage der deutschen Fußballer in Russland damit zu tun hat, dass der eine oder andere aus der Mannschaft sich gern auch mal mit Erdogan ablichten lässt und partout die deutsche Nationalhymne nicht mitsingen will. Dann könnten nämlich die von einigen höheren Fußballfunktionären geäußerten und im medialen Resonanzkörper vielfach hin und zurück gewälzten Schuldzuweisungen in Sachen „Özil und der DFB“ einvernehmlich als das beurteilt werden, was sie sind: als untaugliche, und in sportlicher Hinsicht ziemliche lausige Reaktion auf den Schock einer völlig unerwarteten Niederlage.

Ich bin sicher: Man wird bald wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Weitaus mehr gibt zu denken, was im Nachgang dieser „Affäre“, ausgelöst durch die Reaktion des angegriffenen Mesut Özil, unter dem Stichwort „Rassismus im Sport“ inzwischen die Debatte bestimmt. Hier scheinen einige den Fehlpass aus den Reihen des DFB als willkommene Vorlage benutzen zu wollen, wieder einmal ihre gegenseitigen Schuldzuweisungen zum Thema Rassismus und Integration in Deutschland loszuwerden.

Als ein besonders krasses Beispiel sehe ich den Vorwurf der „Integrationserpressung“ an, kürzlich geäußert in einem Beitrag von Frau Marinic. Was bitte ist daran ein unzumutbarer erpresserischer Zwang zur Integration, wenn die Mehrheitsgesellschaft von seit mehreren Generationen hier lebenden türkischstämmigen klare Antworten auf die Frage erwartet, warum diese ihre Stimme einem Staatspräsidenten geben, dessen politische Vorstellungen und Entscheidungen teilweise erheblich von dem abweichen, was man in unserer Gesellschaft als unverzichtbare Werte einer rechtsstaatlich orientierten Demokratie ansieht? Einem Politiker, der darüber hinaus ganz offen seine „Landsleute im Ausland“ dazu auffordert, ihren persönlichen muslimischen Glauben zu einem klaren Bekenntnis zur türkisch nationalen Identität unter seinem Regiment zu machen?

Wie man dann auf die Frage „Gehört der Islam zu Deutschland?“ noch eine positive Antwort erwarten kann, ist mir schleierhaft. Über all das müssen wir offen miteinander reden, und das angesichts der kritischen Gemengelage bald. Das sollte zum Beispiel in einer Stadt wie Mannheim leicht möglich sein, wo man doch seit langem mit dem türkischstämmigen Teil der Bevölkerung und seinen Repräsentanten im vertrauensvollen Gespräch ist. (Ulrich Nowak, Mannheim)

„Der arme zerfetzte Mesut“. Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Der gesamte Artikel ist ein ausschließlicher Beitrag „pro Mesut“. Kontra Mesut sucht man in diesem Artikel vergebens. Warum auch. Herr Özil hat ja in seinen Stellungnahmen dargelegt, dass er mit dem Auftritt bei Präsident Erdogan alles richtig gemacht habe und er wieder so entscheiden würde. Herr Özil, bevor Sie solche Auftritte machen, sollten Sie darüber nachdenken, was Sie damit auslösen und welche Schlüsse die Gesellschaft daraus zieht, beziehungsweise was der Bürger über sie denkt. Ich denke, Sie haben alles falsch gemacht. (Georg Stumpf, Viernheim)

Schon der Titel des Beitrags ist eine Frechheit. Dem millionenschweren Mesut Özil gebührt eigentlich nicht so viel Aufmerksamkeit. Jagoda Marinic nennt Mesut Özil „ein Vorbild für gelungene Integration“. Meiner Meinung nach war er weder je Vorbild dafür noch ist Integration der dritten Generation türkischer Migranten überhaupt weitgehend gelungen. Mesut Özil hat seit Jahren aller Welt beim demonstrativen Nichtsingen unserer Nationalhymne bei Länderspielen gezeigt, wie sehr ihm Deutschland am Herzen liegt.

Jagoda Marinic meint, dass Deutschland bei der Integration versagt habe. Ich kann nur insofern zustimmen, als die deutsche Gesellschaft in meiner Wahrnehmung Jahrzehnte lang viel zu tolerant war. Alles, was unserer westlichen Kultur entgegensteht, wurde entweder ignoriert (zum Beispiel Gettobildung, Kinderheirat, Zwangsehen...) oder sogar gefördert (zum Beispiel kein Schwimmunterricht für Mädchen, kein Schweinefleisch in manchen Kitas).

Eine SPD-Politikerin mit Migrationshintergrund sagte sogar unlängst im TV, dass die Integration zu mehr als 90 Prozent gut gelungen sei. Was für ein Witz! Was Jagoda Marinic als „Befreiungsschlag für jene, die sich nicht mehr erklären wollen“ empfindet, sollte diejenigen überdenken lassen, ob Deutschland das richtige Land für sie ist. Ich verwahre mich im Voraus dagegen, in die rechte Ecke gestellt, gar als Nazi und Rassistin bezeichnet oder für Sympathisantin der AfD gehalten zu werden.

Ich würde nie eine rechtsradikale Partei wählen, frage mich jedoch als SPD-Anhängerin, ob ich diese Partei noch wählen kann, nachdem ihre Vertreter immer mehr die Realität aus den Augen verlieren und damit der AfD Wähler in die Arme treiben, was für mich und viele in meinem Umfeld Grund genug ist, Angst um unsere Demokratie zu haben. (Eva-Maria Abernethy, Brombach)

Also, diesen Schlamassel hat er sich selber eingebrockt. Den schwarzen Peter kann er sich selber anhängen, nicht uns. Er ist hier in Deutschland geboren, er hat ein gutes Leben samt Familie. Es ist ja immer so, wenn man nichts mehr zu sagen weiß, dann kommt die Platte mit dem Rassismus. Wir brauchen uns aber auf so eine Art auch nicht beleidigen zu lassen, das hat er mit seinem Verhalten getan. (Gisela Krieger, Fürth)

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2Or3GJq 

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