Mobilitäts-Askese oder Flugreise?

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Ein Passagierflugzeug über einem Rapsfeld bei Hannover. Noch ist „Flugscham“ lediglich ein vor allem in Skandinavien verbreitetes Schlagwort. Weder auf dem deutschen noch auf dem internationalen Luftverkehrsmarkt halten sich die Kunden beim Buchen von Flugreisen merklich zurück. © dpa

Zum Thema Mobilität:

Das regelmäßige Lesen dieser Zeitung hat mich zu einer – zugegebenermaßen polemischen – Reflexion bewogen und dennoch zu einer ernst gemeinten Frage. Seit Monaten trommelt und pfeift der „Mannheimer Morgen“ zur Kehrtwende in der Mobilität. Über deren Notwendigkeit sind wir uns weitgehend einig, über das Wie und für wen überhaupt nicht.

Öffentlicher Personennahverkehr statt Individualverkehr. Wenn schon Individualverkehr, dann Fahrrad oder e-Mobil, chaotische Zustände mit Elektro-Tretrollern auf den Straßen und Gehwegen inbegriffen. Keine Onlinebestellungen wegen des Lieferverkehrsaufkommens und der Parksituation, dafür der Transport von Einkäufen in Taschen, Kisten, Körben in Bahnen und Bussen oder per Lastenfahrräder – neuerdings auch elektrisch betrieben, allerdings nicht nur mit Strom aus erneuerbaren Energien. Urlaubsreisen nur noch zu Fuß oder per (viel zu teurer) Bahn. Mit dem Auto, nein Danke, und Flugreisen gehen überhaupt nicht mehr. Wer fliegt oder innerstädtisch dieselt wird zum Klima-Paria. Selbst Greta fliegt nicht, sie nimmt lieber die (viel zu teuere) Bahn. Zahlt Greta dies vom Taschengeld?

Mit derselben Regelmäßigkeit, mit der uns der „Mannheimer Morgen“ ein schlechtes Verkehrs- und Klimagewissen macht, berichtet er in den Wochenendausgaben allerdings ausgiebig über touristische Kleinodien in fernen, exotischen Ländern, die alle nur per Schiff (oh, Schweröl) oder Flugzeug (oh, Graus) zu erreichen sind. Oder schwingt da unterschwellig mit: Fernreisen können sich nur wenige leisten, also wird die Umwelt, pardon, das Klima, davon nicht so sehr belastet.

Für die Reichen also Flugreise inklusive leicht bezahlbarer CO2-Steuer nach Ecuador und für den großen Rest Fahrrad und nächstgelegener Baggersee? Der Eintritt dort – so die Überlegung von pro CO2-Steuer-Politikern – wird verbilligt über die Rückführung der CO2-Steuer; das ist zwar nicht Ecuador, aber vielleicht reicht es beim vierten Besuch des Badesees für ein Speiseeis – aber nur, wenn ich tatsächlich klimaneutral gefahren bin.

Jetzt würde ich zu gerne wissen, ob sich die Redaktion entscheiden kann, wofür sie verkehrsmäßig und klimapolitisch steht: Werbung für Mobilitätsaskese oder Werbung für Fernflugreisen? Oder geht die Berichterstattung über diverse Entwicklungen auch etwas komplexer und vielschichtiger, auch wenn solche Sichtweisen in der „Fridays for Future“-Bewegung nicht besonders „in“ sind? (Rolf Menz, Wilhelmsfeld)