Sechs Leser sind einen Arbeitstag lang zu Gast in der Redaktion. Sie erleben, wie nach intensiven Diskussionen und Abwägungen eine Zeitung entsteht. - Leser und Nutzer Neue Einsichten

Lesedauer
Was bietet die Zeitung von morgen? Blattabnahme um 17 Uhr (von links): Leserin Bianca Beyer, Redakteur Alexander Jungert, Leserin Elisabeth Hinkel und ihr Mann Klaus Hinkel, Lokalredakteurin Meena Stavesand, Leser Manfred Meliset, Leserin Erika Matthes und Chefredakteur Dirk Lübke. © Rinderspacher

Mannheim. Was jeden Tag in der Zeitung steht, das ist das Ergebnis von eingehenden Gesprächen, klärenden Absprachen und diffizilen Themenabwägungen. Wie spannend das sein kann, haben sechs Leserinnen und Leser dieser Zeitung bei einem Redaktionsbesuch in der Mannheimer Dudenstraße erlebt. Chefredakteur Dirk Lübke begrüßt dort am Morgen die Gruppe. Alle Gäste hatten sich mit Leserbriefen an die Redaktion gewandt, weil ihnen bestimmte Dinge missfielen, sprachliche Fehler zum Beispiel. Als „kritische Leser“ wurden sie daher gebeten, einen Tag lang die Arbeit der Redaktion vor Ort zu begleiten.

Diese Fragen stellten unsere Leser

Beim Hineinschnuppern in den Redaktionsalltag kommen viele Fragen auf. Wir haben für Sie, liebe Leser, zusammengefasst, was unsere Gäste interessierte.

Wann wird in der Zeitung bei Straftaten die Nationalität der Verdächtigten genannt?

Wenn die Polizei die Nationalität bei Personenfahndungen angibt, übernehmen wir das, wenn es zur Klärung einer Straftat nötig ist. Wir entscheiden aber von Fall zu Fall, ob wir das tun. Vor allem wenn eine Nationalität nicht eindeutig festgestellt werden kann, entscheiden wir uns dafür, konkrete Beschreibungen über die Größe und das Aussehen, etwa über Haut- und Haarfarbe, anzugeben.

Was tut die Zeitung, um Rechtschreibfehler zu vermeiden?

Es gibt mehrere Vorkehrungen, mit deren Hilfe wir versuchen, solche Fehler zu eliminieren. Zunächst muss jeder Text über ein Korrekturprogramm des Computers laufen. Dann sollte ein Kollege oder eine Kollegin den Artikel gegenlesen. Idealerweise überprüft ihn der Autor dann nochmals auf einem Ausdruck. Wenn eine Seite fertiggestellt ist, wird sie außerdem dem Qualitätsmanagement vorgelegt; das ist ein Kollege, der viele Zeitungsseiten nochmals von oben bis unten gegenliest, bevor sie in Druck gehen. Eine Null-Fehler-Zeitung ist zwar das Ziel, aber angesichts der Menge von bearbeiteten Texten nicht immer möglich.

Wie trennt die Zeitung Kommentar und Bericht?

Es gehört zum journalistischen Handwerk, dass ein Autor zwischen der sachlichen Nachricht und der persönlichen Kommentierung trennt. Idealerweise ist der Autor eines Textes besonders geeignet, einen Kommentar zu schreiben, weil er sich durch intensive Recherchen und Beschäftigung mit der Sachlage in das Thema eingearbeitet hat. Es kann aber auch durchaus der Fall sein, dass jemand anderes, der mehr Abstand zum Thema hat, als Kommentator geeignet ist.

Ist das Papier der Zeitung dünner geworden?

Mit der Einführung der aktuellen Buchstruktur – also der Gliederung der Zeitung in mehrere Hefte (die in der Fachsprache Bücher genannt werden) – hat man als Leser der Zeitung tatsächlich das Gefühl gehabt, die Seiten seien dünner geworden. Die Hefte waren schließlich dünner als vorher. Manchmal gab es zudem das Problem, dass bei farbintensiven Anzeigen die Farbe auf die Rückseite eines Blattes durchdruckte. Wir haben darauf reagiert und das Gewicht von 42,5 auf 45 Gramm auf den Quadratmeter angehoben.

Bianca Beyer hat ein Bündel Zeitungsausschnitte mitgebracht, die Rechtschreibfehler dokumentieren. Und Erika Matthes moniert, es würden immer wieder Fotos veröffentlicht, die Bundeskanzlerin Merkel in unvorteilhafter Weise zeigen würden. Manfred Meliset dagegen nervt das TV-Magazin „Prisma“: „Mehr Werbung geht nicht“, ärgert er sich.

Manfred Meliset

Manfred Meliset war als Kaufmann bei einer internationalen Spedition tätig. Im Ruhestand ist der Ludwigshafener als Verleger und Chefredakteur des Modellmagazins „Garten Bahn“ aktiv.

Wie lesen Sie die Zeitung? Morgens auf Papier, ich bin aber auch Online-Abonnent.

Was lesen Sie zuerst? Die Titelseite.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Wirtschaft und Lokales, vor allem auch die Seiten über Ludwigshafen. Und auf jeden Fall das Wochenende.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Chefredakteur wären? Ich würde im Lokalen stärker die Finger in die Wunden der Stadt legen, etwa darüber schreiben, wie dreckig es in der Stadt ist.

Gespräche sind nötig

Die Gäste beteiligen sich rege an der Frühkonferenz um 10.30 Uhr im Newsroom, der Nachrichtenzentrale dieser Zeitung. Hier besprechen die sogenannten Blattmacher – sie sind verantwortlich für Textauswahl und Gestaltung der Seiten – mit der Chefredaktion, welche Neuigkeiten in die Zeitung kommen. Dabei erfahren die Besucher, dass es nicht nur um die gedruckte Ausgabe des nächsten Tages geht. Matthias Schmeing, Leiter der Onlineredaktion, des Morgenwebs, klärt auch ab, welche Themen schnellstmöglich und tagesaktuell in die Internetausgabe dieser Zeitung gelangen.

Bianca Beyer

Bianca Beyer war Lehrerin in den Fächern Deutsch und Englisch am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Weinheim. Die Mannheimerin ärgert sich vor allem über Rechtschreibfehler.

Wie lesen Sie die Zeitung? In gedruckter Form, ein Frühstück ohne Zeitung geht nicht.

Was lesen Sie zuerst? Ich fange vorne an und höre hinten auf, wobei ich den Sportteil eliminiere.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Der Politikteil und das Lokale.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Chefredakteurin wären? Ändern würde ich nichts. Aber ich würde versuchen, mehr Aufklärung zu leisten, um den Fake News, den vorgetäuschten Nachrichten, entgegenzuwirken.

An diesem Tag ist die Sommerhitze das große Thema. Mannheim könnte die heißeste Stadt in Baden-Württemberg werden, erklärt Politik-Chef Marco Pecht. Er stellt noch eine Exklusivgeschichte über zunehmende Gewalt gegen Ärzte vor; auch hier sei Mannheim Spitzenreiter im Land. „Wäre das für Sie wichtig?“, fragt Chefredakteur Dirk Lübke die „kritischen Leser“. „Das hängt davon ab, was unter Gewalt zu verstehen ist“, meint Klaus Hinkel: „Wenn es körperliche Angriffe sind, dann ist das ein Thema.“ Auch die Zahl der Übergriffe sei wichtig, wirft Bianca Beyer ein. „Ich denke, diese Nachricht gehört auf die Seite eins“, erklärt Dirk Lübke.

Nach der Konferenz setzen die Besucher die Aussprache mit dem Chefredakteur fort. Warum noch immer so viele Leserbriefe über den Rücktritt von Fußballer Mesut Özil veröffentlicht würden, bemängeln Erika und Jürgen Matthes: „Wir wollen das nicht mehr lesen.“ Er könne noch weitaus mehr Leserreaktionen dazu abdrucken, berichtet Dirk Lübke: „Das ist ein Indikator, dass sich die Leser immer stärker einbringen.“ Vor fünf Jahren hätte die Zeitung 1450 Zuschriften pro Jahr bekommen, 2017 sei die Zahl auf mehr als 2100 Briefe angewachsen.

Eine lebhafte Diskussion entspinnt sich mit Daniel Kraft von der Online-Redaktion. Die Besucher, die allesamt die Papierausgabe bevorzugen, wollen wissen, nach welchen Kriterien die Zeitung ihre Texte aus der Flut von Nachrichten, die im Internet kursieren, auswählt. Das Morgenweb setze auf vertrauenswürdige Informationen von offiziellen Stellen und verlässliche Quellen, aber nicht auf unseriöse Anbieter, berichtet Kraft. Gleichwohl betont er, wie wichtig gerade im Online-Geschäft die Schnelligkeit sei. „Aber wir legen stets höchsten Wert auf journalistische Kriterien und sauber formulierte, sachliche Texte“, betont er.

Um 17 Uhr nehmen die Gäste an der Blattabnahme teil: Dabei präsentieren die Blattmacher alle Seiten der Zeitungsausgabe, die ausgedruckt im Newsroom an der Wand hängen, dem Chefredakteur. Dirk Lübke begutachtet die Seiten, diskutiert mit den Redakteuren. Wenn nötig, wird eine Überschrift geändert, Bilder ausgetauscht, auch mal ein ganzer Text verworfen. Es kommt zu einem munteren Meinungsaustausch. „Steffen Fäth, der etwas stillere Star“, steht als Überschrift auf einer Sportseite. „Geht das?“, fragt Dirk Lübke in die Runde. „Geht nicht“, antwortet Bianca Beyer. „Still ist still“, sagt die pensionierte Deutschlehrerin.

„Das ist das Gute an der Blattabnahme“, bilanziert der Chefredakteur: „Wir sprechen und ändern, wo nötig.“ In kleiner Runde trifft sich die Gästegruppe zum Abschluss noch einmal mit Dirk Lübke. „Ich kann nun verstehen, dass es zu Fehlern kommen kann, wenn so viele Texte gekürzt werden müssen“, sagt Bianca Beyer. „Oft werden mehrere Agenturtexte zu einem Artikel zusammengefasst“, erklärt der Chefredakteur. Manfred Meliset ist beeindruckt.„Ich lese die Zeitung ab jetzt ganz anders“, sagt er.

Jürgen Matthes

Jürgen Matthes war bei der BASF für die Projektierung im Anlagenbau tätig. Der Ludwigshafener wünscht sich mehr Berichte über Fernsehsendungen.

Wie lesen Sie die Zeitung? Gedruckt, zum Frühstück.

Was lesen Sie zuerst? Die lokale Berichterstattung über Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Politik und Lokales, vor allem die Kommentare. Aber mich interessiert auch der Kulturteil.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Chefredakteur wären? Ich würde Dingen wie dem Dieselskandal mehr nachgehen und Themen wie Mesut Özil oder Kopftuchträgerinnen keine Plattform geben. Da jubelt nur die AfD.

Erika Matthes

Erika Matthes war bei der Ludwigshafener Firma Raschig im Vertrieb für technische Kunstharze tätig. Ihr missfällt an der Zeitung die Bildauswahl, wenn Politikerinnen gezeigt werden.

Wie lesen Sie die Zeitung? In Papierform, und das sehr intensiv, morgens und auch mittags.

Was lesen Sie zuerst? Die lokalen Blickmeldungen auf der Titelseite, dann den Rest der Seite eins.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Wirtschaft und Politik.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Chefredakteurin wären? Ich würde die Nachhaltigkeit bei der Berichterstattung verstärken. Themen, über die bereits berichtet wurde, müssten stets auf den neuesten Stand gebracht werden.

Elisabeth Hinkel

Elisabeth Hinkel hat bei der Brühler Firma HIMA in der kaufmännischen Abteilung gearbeitet. Der Schwetzingerin missfallen sachliche und sprachliche Fehler.

Wie lesen Sie die Zeitung? Auf Papier. Aber die Fotostrecken sind in digitaler Form im Morgenweb besser.

Was lesen Sie zuerst? Meistens geht die Lektüre bei mir mit dem Mannheimer Lokalteil los.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Die lokale Berichterstattung und dann gleich der Sport.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Chefredakteurin wären? Ich würde manchen Themen stärker nachgehen und Fehler so schnell wie möglich korrigieren.

Klaus Hinkel

Klaus Hinkel war bei der Brühler Firma HIMA Teamleiter der Projektierungsgruppe für sicherheitstechnische Ausstattung. Er findet, manchmal sei die Berichterstattung zu wenig forsch.

Wie lesen Sie die Zeitung? In gedruckter Form, eine halbe Stunde nach meiner Frau.

Was lesen Sie zuerst? Den Wirtschaftsteil.

Was ist Ihnen am wichtigsten? Das Lokale und das, wo mir keine sonstigen Informationsquellen zur Verfügung stehen.

Was würden Sie ändern, wenn sie Chefredakteur wären? Die Jugend stärker an die Zeitung heranführen, in manchen Dingen mehr Biss an den Tag legen und nicht immer die politische Korrektheit befolgen.

Bisherige Gäste

2015

Januar: Hans-Ullrich Fritz, Helmut Schäfer; April: Günther Hübsch, Lutz Aberle, Manfred Effertz, Rüdiger und Erika Grosse; Juli: Ditta Lauretta Büscher, Roswitha Niedermeier; Oktober: Werner Kirchner, Martin Weiss, Thomas Hollritt, Helmut Büchner.

2016

Januar: Ulrike Faulhaber, Reinhold Schwinn; April: Jutta Scherer, Klaus Maier, Klaus Anacker, Eva Teubert, Axel Juedtz, Aljoscha Kertesz; Juni: Petra Stacha, Eginhard Teichmann, Gerhard Bleckmann, Lilo Bühler, Gerd Mücke, Heidemarie Didion; Juli: Christiane Geiger, Gabriele Fleck, Manfred Nagler, Manfred Dengel, Cornelia Blume; Oktober: Günter Klomfaß, Werner Himmele, Horst Schneider, Manfred Lindner, Marzell Müller.

2017

Januar: Friedebert Goldbach, Irene Reider, Günter Schmidt, Johanna Schmidt, Roman Wolf; April: Norbert Heckert, Christoph Heidelberger, Ursula Ritter-Meffert, Walter Meffert, Klaus Mengel; Juni: Karl-Heinz Patzke, Michael Mürmann, Christa Grenz, Thomas Wilsdorf-Lindenthal, Marietta Hagen; September: Marion Koch, Jürgen Schmitt, Jutta Schmitt, Axel Weber, Hugo Withopf, Jiehong Zhou; November: Arndt Müller, Sylvia Müller, Christian Potthof, Udo Seibold.

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