Presse trägt große Verantwortung

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Journalisten sind in der Demokratie unverzichtbar, denn sie sind Wächter und Korrektiv. Sie haken nach, sie recherchieren, sie bleiben am aktuellen Geschehen dran – und schreiben für ihre Leserneutral auf, was passiert ist. Dabei kommen immer alle Seiten zu Wort. © istock

Zum Thema Journalismus:

In vielen ausgezeichneten Artikeln preist der „MM“ in den letzten Wochen die Bedeutung des Journalismus und der Presse an. Das ist sicherlich richtig und verdienstvoll. Das wäre aber auch in Form einer Selbstbesinnung dringend nötig. Wir sind uns wohl einig, dass Presse nicht nur wichtig ist, sondern auch eine große Verantwortung zu tragen hat. Als ich in den 1970er Jahren beruflich eine Expertise über die „Südwestpresse“ zusammentrug, erklärten mir alle Redaktionen vorrangig ein Ziel: Trennung von Kommentar und Information ist die hohe Schule des Journalismus und für den informierten Leser unverzichtbar.

Davon bin ich bis heute sehr überzeugt. Leider bewegt sich zumindest der „MM“ davon weg. Immer häufiger lesen wir: Die Autorin/der Autor hat Information und eigene Meinung vermischt. Trotz mehrfachen Lesens ist es mir in keinem dieser Artikel geglückt, Information so herauszufiltern, dass ich die journalistische Meinung beurteilen konnte. Damit ist der Artikel weniger wert!

Immer wieder stelle ich fest, dass zu wenig Sorgfalt auf die sprachliche Aufarbeitung eines Artikels, auch eines Kommentars gelegt wird. Es sind die emotionsbeladenen Ausdrücke, die im Gedächtnis bleiben, und damit eher die Emotion des Journalisten als dessen Wissensvermittlung. Wenn da von der SPD als „dahinsiechender“ Partei gesprochen wird, dann ist das keine Information und kein Kommentar. Es handelt sich immerhin um eine Partei mit über 400 000 Mitgliedern, vielfältig tätig in Kommunen und Landesregierungen. Zugegeben etwas umstritten in der Bundesregierung, die aber dort eine Regierungsbildung trotz eigener Bedenken erst ermöglicht hat, wohl zum Vorteil der Bundesrepublik (das Beispiel fiel mir spontan ein, es gibt solche emotionalen Verrisse auch bei anderen Parteien).

Kritik zu üben, ist eine große Kunst. Wissenschaftler schreiben oft nur Kritisches, weil sie damit rechnen können, dass der Adressat den Rest sowieso gut kennt. Presse sollte sich davor hüten, dies in die Öffentlichkeit zu übertragen. Wer hier nicht erklärt und auch das Positive immer wieder nennt, übersieht seine Verantwortung dem weniger Informierten gegenüber.

Damals sagte man mir auch, dass die Presse einen verschwindend kleinen Teil dessen, was an Informationen bei ihr ankommt, weitergeben kann. Der Leser ist aber in der Regel uninformiert, das heißt, seine Erkenntnisse fußen auf nur diesem geringen Teil! Weniger versierte Leser rechnen dieses als „Wissen“ hoch, merken sich in der Regel den Teil, der ihrer Überzeugung entspricht, und lehnen alles andere ab (siehe „Lügenpresse“!).

Ganz besonders gilt dies für die komplizierten Vorgänge in der Praxis der demokratischen Politik! Leserzuschriften zeigen dies explizit! Da trägt zum Beispiel der Redakteur auch eine große Verantwortung, der die Überschriften kreiert: Letzthin: Die Sparkasse zahlt keine Zinsen mehr! In Wirklichkeit galt das nur für sehr große Summen geschäftlicher Art. Das stand zwar auch im Artikel, aber sehr klein. Haben Sie einmal eine Recherche gestartet, wie viele nach folgender Ansicht verfahren: Was ich in der Überschrift lese, gibt mir schon genug! Mir sind welche bekannt! Und welch katastrophale Folgen kann das bei diesem Thema haben!

Wenn Sie einen Beweis meiner Erkenntnisse wollen, vergleichen Sie die beiden Kommentare auf Seite zwei des „MM“ vom 30. Dezember 2019. Marco Pecht schreibt viel Positives, rückt eine Meinung zurecht, nach meiner Ansicht ein ganz wichtiges Problem, ohne Notwendiges zu verniedlichen. Hier wird von jedem Verantwortung verlangt und begründet. Darunter steht der von Werner Kolhoff, kritisch bis polemisch ohne auch nur eine annähernde Aufklärung, warum das so ist, was er kritisiert, zum Beispiel Außenpolitik. Wer da nicht vorsichtig ist, gefährdet uns heute, muss sich aber hier „zaudern, zögern und zagen“ vorwerfen lassen. Bitte wobei? Oder besser: wobei nicht?

Der Leser kann das vielleicht nicht einschätzen, der Kommentator weiß es! Und diese Kritik zielt ja nicht nur auf den SPD-Mann, sie gilt der ganzen Regierung! Ich hüte mich hier vor ähnlicher emotionaler Beurteilung dieser journalistischen Arbeit. Ich halte sie aber für sehr gefährlich!

Demokratie ist sicherlich die schwierigste politische Gesellschaftsform, die es gibt. Sie funktioniert nur im Verständnis für das Wollen des anderen und in Achtung der Person. Presse ist auch da Vermittler, Erklärer, ja, dieser Teil ihrer Arbeit ist für die Demokratie geradezu lebensnotwendig. So richtig es ist, Presse und so weiter als wichtigen Teil der demokratischen Wirklichkeit darzustellen, so klar ist auch, dass sie die politische Stimmung beeinflusst, ja vermutlich auch erzeugt. Journalismus ist nicht der Aufpasser demokratischen Geschehens, er ist dessen Teil. Ohne Gesetzgeber und Regierung sowie Justiz ist sein Metier höchst gefährdet. Unsere Verfassung hat das überaus gut geregelt. Das muss Journalismus auch deutlich machen, zu seiner und unser aller Vorteil! Gerade weil Journalismus so wichtig ist, muss er selbstkritisch sein!

Gerold Preiß, Schriesheim