Reichlich übertrieben

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Zum Interview mit Robert Menasse „Man kann unsere Welt nicht mehr national gestalten“ vom 24. März:

Menasses Meinung finde ich schon sehr reichlich übertrieben. Die Grundaussage, dass nur übernational regiert werden könne, ist auch in den letzten Monaten augenfällig widerlegt worden. In der veröffentlichten Meinung und vor allen Dingen in der SPD drehte sich doch alles um die Bildung der Bundesregierung, also nicht um übernationale Fragen, sondern die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.

Die Ausgangsthese Menasses findet somit in der Realität keinen Widerhall. Probleme der EU wie jetzt der ganz gravierende Fall um die Beförderung Selmayrs durch Juncker spielen indes praktisch in der Medienlandschaft und erst recht bei der Bevölkerung keine Rolle. So liegen nun einmal die Dinge. Mathias Wagener, Mannheim

Im Interview mit Ihrer Zeitung bekundet der österreichische Schriftsteller Robert Menasse, er fühle sich nicht als Österreicher, denn was habe er mit einem Tiroler Bergbauern gemeinsam? Er fühle sich vielmehr als Wiener oder Niederösterreicher (der allerdings zur Zeit in München lebt). Und von der Redakteurin (und sicher auch den Lesern) wünscht er sich, dass sie sich als Europäerin fühle, statt sich einer Nation zugehörig zu sehen, denn das nationale Indentitätskonzept habe nie funktioniert, es sei ein Konstrukt. Soweit Robert Menasse.

Unhistorische Wirklichkeit

Er ist mit dieser Ansicht nicht alleine. In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die auf die Nation den Schwanengesang anstimmen oder ihr – als künstliche, gar obsolete Idee – jede Daseinsberechtigung absprechen. In ihrem Weltbild soll den Platz der Nation in einer Ebene unter ihr die Landsmannschaft beziehungsweise Region und in einer Ebene über ihr ein übernationales Gebilde wie Europa einnehmen, die beide somit in ihrer Mitte ein Vakuum entstehen lassen.

Diese Auffassung von Robert Menasse ist recht eigenwillig. Mit der Wirklichkeit hat sie nicht viel zu tun; sie ist unhistorisch und wird auch von den Sozialwissenschaften nicht gestützt. Es ist keine 30 Jahre her, dass wir Deutschen die Wiedervereinigung erlebt haben; ergreifende Szenen der Verbrüderung an der Grenze gingen um die Welt. Wenige Jahre später brach die Sowjetunion auseinander, sodann der Warschauer Pakt; es folgte der Zerfall von Jugoslawien und der Tschechoslowakei.

Aus diesen übernationalen Gebilden entstanden oder befreiten sich 25 Staaten und Völker. Überall große Begeisterung und Freude über den Gewinn von Freiheit und Selbstbestimmung und Identität. Die Welt sah staunend und bewegt zu. Es war die Zeit einer Wiedergeburt des Nationalstaates. Diese neuen Nationen sollen alle Konstrukte sein? Ganz im Gegenteil – sie sind gelebte, zu Herzen gehende Wirklichkeit.

Der Nation heute die Existenzberechtigung grundsätzlich abzusprechen, entspringt wohl eher den ideologischen Träumen eines Globalisierungseiferers, mit der Wirklichkeit hat es wenig zu tun. Für die große Mehrheit bei uns gilt immer noch, dass sie sich als Deutsche fühlen, und sie dürfen es. Robert Menasse ist entgegenzuhalten: Wenn er in der ihm zugehörigen Nation keinen festen Platz gefunden hat, dann mag er das äußern, jedoch sollte er ihn anderen nicht absprechen. Das erfordert der gebotene Respekt vor den ernsthaften Gefühlen der Mitmenschen.

Wieso aber sieht Menasse und mit ihm manche weiteren Gleichgesinnten überhaupt einen Gegensatz der Nation zu Europa? Für die meisten Menschen bei uns ist die Nation ein Objekt der Gefühle, Europa hingegen ein Produkt der Vernunft. Hartfrid Golf, Lampertheim

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2qn4iWr 

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