Sammlung von Belanglosigkeiten

Lesedauer

Zum Corona-Tagebuch von Jagoda Marinic „Vorbild Le Corbusier“ vom 30. April:

Was sich in dem Beitrag über die Leser ergoss, ist der Gipfel. Früher galt: Für jede gute Rede zitiere einen Klassiker. Also lesen wir nun, dass sich Le Corbusier mit Alkohol und Zigaretten vor der Spanischen Grippe wegschloss. Kein Wort darüber, dass er es sich wahrscheinlich materiell leisten konnte, in Quarantäne zu gehen.

Dann lernen wir: „Überhaupt waren Medizin und Virologie damals oft ratlos…“ Heute nicht? Gerade heute wäre es hilfreich und wohltuend, wenn die Experten zugeben würden, dass sie nicht wissen, welche Maßnahme hilfreich ist und die Maßnahme, die sich als nicht besonders wirksam erwiesen hat, zurückgenommen werden würde. Und dann ist Frau Marinic auch noch dankbar, die Pandemie erleben zu dürfen. Stille Einfalt, edle Größe. Aber irgendetwas hat sie doch getroffen. „Mit der Lockerung der Maßnahmen lockert sich das Mundwerk vieler“, werden wir belehrt. Es ist eine Sammlung von Belanglosigkeiten, völlig unverfänglich, gespickt mit Durchhalteparolen und gänzlich auf der Linie der Regierungen: Die da oben wissen schon, was sie tun. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht und Kritik an der Obrigkeit ist Wehrkraftzersetzung.

Begeistert vom Inhalt

Dann kommt noch die verbale Keule zum Einsatz, Geschichtswissen aus Zeiten der Abiturprüfungen: „Weiten wir diesen Sozialdarwinismus auch auf Krebspatienten und andere Kranke aus?“, fragt sie in Anspielung auf Interviews von Palmer und Schäuble. Kein Wort darüber, dass gerade Schwerkranke zur Zeit oft keine Behandlungsmöglichkeiten erhalten oder wahrnehmen, eben aus Angst vor Ansteckung.

Das Hinterfragen von Maßnahmen nennt sie: „Wissenschaftsfeindlichkeit“ und „Unzivilisiertheit“ also ganz im Tenor, dass andere vom Mainstream abweichende wissenschaftliche Äußerungen, die auch einen anderen Lösungsweg in Betracht ziehen, eben nicht wissenschaftlich und vor allem unzivilisiert sind. Was für eine Keule auf das bisher noch wenig eingeschränkte Grundrecht der freien Meinungsäußerung! Zum Schluss und zum Trost bietet sie uns Alkohol und Zigaretten gegen den Frust an und schließt mit der dadurch zur Satire gewordenen Floskel: „Bleiben Sie gesund!“ Unfassbar.

In der Zeit von Corona freut man sich über den einen oder ärgert sich über den anderen Kommentar. Das ist normal! Der Umgang mit Corona ist selbst in engsten Freundeskreisen oft sehr umstritten. Am erfreulichsten ist für mich das Corona-Tagebuch von Jagoda Marinic. Ich bin begeistert von Inhalt und Sprache. Ich bitte Sie höflichst, Jagoda Marinic meine Anerkennung auszudrücken. Der Redaktion erlaube ich mir zu empfehlen, Frau Marinic auch nach Corona Raum zu geben.

Info: Originalartikel unter https://bit.ly/35w4Qwo