Schlusslicht Deutschland

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Zum Artikel „Endlich fühle ich mich wieder fit“ vom 13. Juni:

Dem Satz von Dr. Otto, dem Leiter der Adipositas-Chirurgie des Uniklinikums Mannheim, „Wir wollen öffentlich machen, dass Krankenkassen lebenswichtige Eingriffe verweigern, auch wenn medizinische Leitlinien erfüllt sind“, kann ich nur zustimmen. Auch ich erlebe in meiner Hausarztpraxis immer wieder Fälle von Verweigerung durch die Krankenkassen – oder soll ich eher sagen Sparkassen, bei 20 Milliarden im eigenen Sparstrumpf und 10 Milliarden Vorrat im Gesundheitsfond!

Deutschland ist im Vergleich mit anderen Industrienationen mit weitem Abstand das Schlusslicht bei der Adipositas-Chirurgie (8,8 Operationen auf 10 000 Patienten – Belgien zum Beispiel 107, Schweden 77, USA 74, Schweiz 42. Beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) gilt immer noch: Adipositas ist eine Charakterschwäche und keine Krankheit, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das vor vielen Jahren eindeutig festgelegt hat.

Der kürzlich neu überarbeitete Leitfaden des MDS stellt so unerfüllbare Forderungen auf; die kann ein Patient nach langem Überlegen und jahrelangen, erfolglosen Diäten nicht erfüllen. Dieser Leitfaden ist einzig ein Instrument einer Verschleppungs- und Verweigerungstaktik zur Abschreckung und zum sozialverträglichen Ableben – viele Patienten bleiben auf der Strecke, einige versterben.

Die Ärzte sollen entscheiden

Um all dem furchtbaren Stress mit den Verweigerungskassen aus dem Weg zu gehen, schlage ich Herrn Kollegen Dr. Otto vor, genauso zu verfahren wie das Krankenhaus Bad Cannstatt des Klinikums Stuttgart. Dort ist seit zwei Jahren die Kostenzusage der Krankenkasse für eine Operation keine Voraussetzung mehr. Dort entscheiden die Ärzte gemäß der Leitlinie über die Operationsindikation. Die Klinik berät die Patienten, sie empfiehlt, was vorab zu tun ist und entscheidet, ob und wann operiert wird. Einige Krankenkassen, die die Kostenerstattung verweigerten, hatten vor Gericht keine Chance. Die meisten zahlen inzwischen freiwillig, da bisher alle Verfahren zugunsten der Klinik ausgingen. 2016 hatte die Klinik 330 Eingriffe ohne vorherige Zustimmung der Krankenkassen, 2017 rund 500.

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2INTsic

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