Steinmeiers Rede grenzenlos arrogant

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Zum Artikel "Steinmeiers erste große Rede" vom 4. Oktober:

Im Unterschied zu den zu erwartenden Lobeshymnen der Redaktion ist für mich die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit ein weiteres Beispiel der Uneinsichtigkeit und Verständnislosigkeit der politischen "Elite". Aus den vielen Ungereimtheiten, um das Mindeste zu sagen, seien drei herausgegriffen:

Am Wahltag sei, behauptet der Bundespräsident, eine neue Mauer entstanden. Nein, diese Mauer ist von denen errichtet worden, die im Anschluss an den September 2015 jede sachliche Diskussion zu dem in der Geschichte moderner Staaten einmaligen Kontrollverlust verweigerten und Kritiker der absolut untätigen und unfähigen Regierung als Nazis, Rassisten, Rechtspopulisten und so weiter beschimpften. Wenn also Mauern aufgebaut wurden, ist es doch wohl in erster Linie Sache der Erbauer, diese wieder abzubauen. Davon ist bisher allerdings überhaupt nichts zu bemerken. Im Gegenteil, der Bundespräsident erklärt weiter, dass diese Mauer (angeblich von der AfD errichtet) einem gemeinsamen "Wir" im Wege stehe. Darf ich mal bescheiden fragen, was dieses Gequatsche soll? Bisher galt es immer als ein Markenzeichen der Demokratie, dass in ihr Konflikte und Auseinandersetzungen friedlich ausgetragen werden.

Die Sehnsucht nach einem gemeinsamen "Wir" (Wer soll das übrigens sein? Wir Sozialdemokraten? Wir Deutsche? Wir Bürger aller Welt?) wird in der politischen Kultur als ein Merkmal der Diktaturen angesehen, die die Einheit des Volkes, der Gesellschaft und so weiter, wenn es nicht anders geht, mit Gewalt herstellen wollen.

Statt eine derart problematische Begrifflichkeit zu verwenden, hätte der Bundespräsident, um einen Schritt nach rechts zu machen, doch einfach feststellen können, dass die Kritik der AfD an der unkontrollierten Zuwanderung mindestens diskussionswürdig ist.

Doch nein, es geht weiter: "Nicht alle, die sich abwenden, sind deshalb gleich Feinde der Demokratie. Aber sie alle fehlen der Demokratie." Bigotter geht es kaum noch. Wer in einer Demokratie Entscheidungen der Regierung für fragwürdig oder falsch hält, fehlt deshalb noch lange nicht der Demokratie, sondern wendet das in jeder Demokratie garantierte Recht an, eine Regierung zu kritisieren.

Zumindest nach der politischen Theorie der Demokratie ist er sogar ein besserer Staatsbürger und Demokrat als ein "loyaler Untertan", der zu allen Maßnahmen des "Establishments" brav "Ja und Amen" sagt.

Chance bald vertan

Meiner Einschätzung nach haben viele Wähler, die am 24. September noch Parteien der Großen Koalition gewählt haben, dies getan, weil sie CDU/CSU und SPD eine letzte Chance geben wollten. Wenn dies weiterhin, wie die Rede des Bundespräsidenten verrät, in grenzenloser Arroganz nicht gesehen wird, ist auch diese Chance bald vertan.

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