Leserbrief: Zum Thema Ärzteproteste wegen Honorarkürzungen / Polittalk bei Anne Will Tolle Sendung der ARD-Profis . . .

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Ich bin Hausarzt und am 23. Dezember hat man mir mitgeteilt, dass man mein Honorar ab Januar um ein Drittel kürzen will. Wie ich meine Helferinnen oder die Praxismiete weiter bezahlen soll, hat man mir nicht erklärt. Und auch nicht, wo die vielen Millionen geblieben sind, die in das Gesundheitswesen zur Unterstützung der niedergelassenen Ärzte geflossen sein sollen. Ich hatte den Eindruck, außer mir und meinen ebenso betroffenen Kollegen hat niemand so recht Interesse an einer Klärung dieses eigenwilligen Phänomens. Am vergangenen Sonntag wurde ich eines Besseren belehrt.

Anne Will mit ihrem Polittalk war auf Sendung, Thema: "Proteste wegen Honorareinbußen bei niedergelassenen Ärzten."

Toller Zufall, endlich ein Moderations-Profi, der sich meiner/unserer Sache annimmt. Und tolle Gäste: Zunächst eine Patientin, die von ihrem Tennisarm berichten durfte, und ein Internist, der für freiwillige Leistungen schon mal per Vorkasse abrechnet.

Das war dann aber gar nicht die Diskussionsrunde. Die bestand aus anderen hochkarätigen Fachleuten: Ein kritischer Journalist, der schon mal drei Jahre lang als Assistenzarzt gearbeitet hat, ein Schönheitschirurg, seit 20 Jahren ohne Kassenzulassung, wurden vorgestellt; als zusätzlicher Mediziner auch noch Andreas Köhler, über dessen ärztliche Tätigkeit ich gar nichts weiß, der aber als Vorsitzender der Kassenärzte die restlichen zwei Drittel meines Honorars ausgehandelt hat.

Seine Verhandlungspartnerin, die Staatssekretärin im Gesundheitsamt, Caspers-Merk, war ebenso anwesend wie der bayrische Staatsminister für Umwelt und Gesundheit, Markus Söder. Beide sind offensichtlich nicht vom medizinischen Fach, wobei Söder zumindest gut informiert schien und erfreulicherweise wusste, wovon er sprach.

Die ersten 15 Minuten wurden mit den kongruenten Statements aller Anwesenden gefüllt, dass der Ärzteprotest auf keinen Fall auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden dürfe. Dann folgte eine Einspielung eines kurzen Filmes, der demonstrierende Ärzte im sommerlichen Ambiente einer Großstadt zeigt, dazu ein Statement eines Demonstrierenden, er wisse gar nicht, wie viel er verdiene; das mache alles seine Frau.

Nach dem Filmende fragt die Moderatorin unseren Kassenarzt-Vorsitzenden: "Na, Herr Köhler, wann war das?" Vorsitzender: "Vielleicht jetzt kürzlich???" (Im Film war es Sommer, mein Honorar haben wurde im Dezember gekürzt!) Anne Will triumphierend: "Nein, haha, das war 1997!" Erstes Fazit der Polit-Talk-Runde: Niedergelassene Ärzte sind immer am Demonstrieren und sie sind doof.

Dann darf die Staatssekretärin zum Ausdruck bringen, dass sie schließlich eine Menge Geld in die Ärzteschaft habe fließen lassen. Ob das auch ankomme, sei nicht ihr Problem. Der weinerliche Ärzte-Vorsitzende flüstert etwas von "Verwerfungen" und "Nachbesserung", bis ihm die Staatssekretärin den Mund verbietet. Auch den bayrischen Gesundheitsminister, der sich offensichtlich vorbereitet hat, mag sie nicht so recht zu Wort kommen lassen. Für sie steht fest, alle Ärzte haben mehr Geld bekommen. Und wenn einer weniger bekommt, stimmt das gar nicht. Zweites Fazit: Niedergelassene Ärzte sind Querulanten oder zumindest Lügner.

Dann folgt ein weiterer Kurzfilm, in dem ein Assistent von Frau Will mit einem Schild durch eine Fußgängerzone rennt, auf dem so etwas steht wie: "Ich verdiene 120 000 Euro im Jahr und will mehr, sonst streike ich (oder so ähnlich)". Es folgen entrüstete Statements von Passanten, denen man verrät, dass es sich hierbei um ein durchschnittliches Ärzteeinkommen handle. "Das hätte ich auch gerne", ist die einhellige Meinung, der ich mich im Übrigen ungeteilt anschließen kann.

Dann wieder Diskussion zwischen Politikern, während der letzte übrig gebliebene Mediziner, Herr Köhler, depressiv in die Runde starrt. Ergebnis: Die Honorar-Problematik darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden, aber das war ja schon am Anfang . . .

Dann folgt ein letzter Filmbeitrag, der nun das Geheimnis der verschwundenen Milliarden lüften soll. Eine Hausärztin macht mit ihrem BMW Hausbesuche in Mecklenburg-Vorpommern. Sie erklärt, dass sie viele Hausbesuche machen muss, aber sie sei zufrieden, denn sie bekäme deutlich mehr Geld als bisher. Auch aus Baden-Württemberg. Warum, erfährt man nicht. Vielleicht wegen der Hausbesuche. Die kennt man hier in Baden-Württemberg natürlich nicht?!

Anschließend kommt noch ein Einpeitscher von der Verbraucherberatung zu Wort, der allen Interessierten rät, Geldforderungen von Ärzten ihres Vertrauens mit Beschwerden bei der Krankenkasse ihres Vertrauens oder gegebenenfalls beim Amtsgericht ihres Vertrauens zu begegnen. Fazit Nummer drei: Alle Ärzte, die kostendeckend bezahlt werden wollen, sind kriminell (im anschließenden Internet-Chat propagiert der Verbraucher-Berater, die Ärzte sollten auf dem Niveau von Lehrern bezahlt werden. Damit wäre ich auch einverstanden - allerdings auch mit deren Nachtdienstbelastung und zwölf Wochen sprechstundenfreie Zeit im Jahr . . .).

Abschließend wird die Patientin vom Anfang gefragt, ob ihr Tennisarm immer noch wehtue? - Ja, tut er!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Tolle Sendung von den ARD-Profis, knallharte Information ohne überflüssige Befragung der Beteiligten und souveräne Bestätigung aller gängigen Ärzte-Klischees.

Danke Frau Will - endlich weiß ich, welchen Status niedergelassene Ärzte in Ihrer Öffentlichkeit haben.

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