Erinnerung - Flammeninferno fordert neun Menschenleben / Ihsan Altindasoglu von der Türkischen Gemeinde Rheinland-Pfalz war vor Ort

Schmerzliches Gedenken

Von 
Bernhard Zinke
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Ludwigshafen. Das Erinnern fällt schwer. Auch nach zehn Jahren. Neun Menschen starben am Danziger Platz in Ludwigshafen: vier Frauen und fünf Kinder. Dutzende kämpften in dichten Rauschschwaden ums nackte Überleben. Danach die Verdächtigungen, maßgeblich von türkischen Medien gestreut, dass die Einsatzkräfte angeblich nicht rechtzeitig und engagiert geholfen hätten. Und schließlich die bis heute ungeklärte Frage nach Ursache und Schuld für den größten Wohnhausbrand in Ludwigshafen nach dem Zweiten Weltkrieg. Morgen jährt sich der Tag der Katastrophe zum zehnten Mal. Ein Tag des schmerzlichen Gedenkens.

„Ich habe den traurigen Eindruck, dass es auch in der türkischen Gemeinde kein großes Thema ist“, bedauert Ihsan Altindasoglu, Vorsitzender der türkischen Gemeinde Rheinland-Pfalz. Die Familien der Opfer wollen nicht öffentlich darüber reden, sondern lieber still gedenken. Auch andere aus dem Umfeld äußern sich ausgesprochen zurückhaltend. „Aus Angst, etwas Falsches zu sagen“, mutmaßt Altindasoglu. Er selbst war damals als 26-jähriger junger Mann ebenfalls vor Ort, hat die Rettungsaktionen direkt verfolgt.

Nach zwei Minuten Hilfe vor Ort

Es ist Fasnachtssonntag 2008. Der Umzug ist gerade in der Nähe des von türkischen Bürgern bewohnten Hauses vorbeigezogen, als das Feuer um 16.24 Uhr bemerkt wird. Nur zwei Minuten nach dem Notruf sind die ersten Feuerwehrleute vor Ort. Die Polizeibeamten, die eben noch den Fasnachtszug begleitet haben, stürmen als erste ins Haus, um die Menschen zu retten. Viel Zeit bleibt ihnen nicht: Das Feuer, das an der Kellertreppe seinen Anfang nimmt, zerstört die Treppe bis nach oben in Minutenschnelle. Dramatische Szenen spielen sich ab: Ein Vater küsst sein Baby auf die Stirn und lässt es aus dem dritten Stock fallen. Das Kind überlebt, ein Polizeibeamter fängt es auf. Erwachsene balancieren in Todesangst auf dem Fenstersims, springen in die Tiefe, zum Teil noch bevor die Luftkissen komplett aufgepumpt sind. Selbst den erfahrensten Lebensrettern gehen diese schrecklichen Bilder monatelang nicht aus dem Kopf.

Todesfalle im dritten Stock

Der dritte Stock wird schließlich zur Todesfalle. Hier sterben die Frauen und Kinder, weil ihnen der Fluchtweg abgeschnitten ist und die Retter sie nicht rechtzeitig erreichen können. Aber auch „kleine Wunder“ gibt es. Kinder werden eine Stunde nach Ausbruch des Feuers lebend aus dem Inferno gerettet. Sie haben sich hinter einer Couch versteckt.

Es setzt den Rettungskräften heftigst zu, dass ihnen von Türken Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen wird. Unter den Feuerwehrleuten sind ebenfalls Türken, die ihre Landsleute überzeugen wollen, dass bei Menschenrettung Nationalitäten überhaupt keine Rolle spielen. Die Lebensretter stehen plötzlich am Pranger, werden beleidigt und angegriffen. „Das war eine ganz schlimme Sache damals“, erinnert sich Altindasoglu. Sogar Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der vier Tage nach der Katastrophe den Ort des schrecklichen Geschehens besucht, maßregelt die türkischen Medien, korrekt zu berichten.

Viele Menschen hätten unter dem Eindruck der Brandanschläge auf türkische Häuser in Solingen und Mölln gestanden, versucht Altindasoglu eine Einordnung – selbst wenn diese Ereignisse schon damals mehr als zehn Jahre zurücklagen. „Die Menschen hatten einfach ein schlechtes Gefühl, fühlten sich widersprüchlich informiert“, sagt er. Er weiß und betont aber, dass die deutschen Behörden akribisch und unvoreingenommen gearbeitet haben.

Am Dialog festhalten

Und was lässt sich lernen aus der Katastrophe und dem Umgang damit? „Wir müssen am Dialog festhalten“, nimmt er sowohl Deutsche als auch Türken in die Pflicht. Gerade in Zeiten, in denen rechte Parteien verstärkten Zulauf bekämen, sei das Gespräch wichtig. In dieser Mittlerrolle sieht Altindasoglu die Migrationsvereine wie seine Türkische Gemeinde Rheinland-Pfalz: Sie müssten die Brücke zwischen den Kulturen bilden und dafür sorgen, dass sich die Menschen integrierten.

Die damaligen Einsatzleiter von Polizei und Feuerwehr wollen sich heute zu den Ereignissen äußern. Ein früherer Termin zum Gespräch mit dieser Zeitung sei nicht möglich gewesen, hieß es auf Anfrage.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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