Deutschlandweites Pilotprojekt in Mannheim (mit Karte)

Hier wollen Stadt und Polizei filmen

Von 
Timo Schmidhuber
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71 Kameras sollen ab dem kommenden Jahr in Mannheim filmen, so die Pläne von Verwaltung und Polizei. Die Geräte kosten rund 880 000 Euro. © dpa

Mannheim. Geplant sind 71 Kameras an 29 Standorten – mit einer umfangreichen Videoüberwachung möchten Stadt und Polizei die Mannheimer Innenstadt sicherer machen. Die Geräte werden im Laufe des Jahres installiert, langfristig soll ein computergestütztes Auswertungsprogramm zum Einsatz kommen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem bundesweiten Pilotprojekt, das in Mannheim nicht unumstritten ist.

Das Projekt

Stadt und Polizei wollen in Mannheim große Teile der Innenstadt sowie den Alten Meßplatz in der Neckarstadt mit Videokameras überwachen. Das soll diese Bereiche sicherer machen. Geplant sind 71 Geräte an 29 Standorten. Derzeit gibt es lediglich am Bahnhofsvorplatz eine solche polizeiliche Videoüberwachung. In einem ersten Schritt werden dort bis Ende April die drei Kameras erneuert. Ab dem gleichen Monat werden bis Ende des Jahres nach und nach auf dem Alten Meßplatz und in der Breiten Straße vom Paradeplatz über den Marktplatz bis zum Neckartor Geräte installiert. Sobald sie an einer Stelle hängen, wird nach Angaben der Stadt gefilmt. Konkrete Termine kann sie nicht nennen. Anfang 2019 soll möglicherweise auch der Plankeneingang im Bereich O 7/P 7 hinzukommen.

Gesetzliche Grundlage

Die Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen ist im baden-württembergischen Polizeigesetz (Paragraf 21, Absatz 3) geregelt. In diesen Bereichen darf nur die Polizei filmen – und auch nur dann, wenn es sich um einen Kriminalitätsbrennpunkt handelt. Das ist laut Gesetz der Fall, wenn sich die Kriminalitätsbelastung an dem Ort „von der des Gemeindegebiets deutlich abhebt und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist“. Der Passus ist relativ offen formuliert, im Zweifel muss das Verwaltungsgericht entscheiden.

Im gesamten Stadtgebiet Mannheim gab es nach Angaben aus dem Rathaus im Jahr 2016 statistisch gesehen im Schnitt pro 10 000 Quadratmeter Fläche (das sind rund zwei Fußballfelder) knapp 0,8 Delikte der Straßen- und Drogenkriminalität. In der Innenstadt waren es rund 15,2 Delikte, speziell am Plankeneingang im Bereich O7/P7 knapp 18,3. In der Breiten Straße sowie auf dem Alten Meßplatz lag der Wert mit knapp 61 und rund 54 Delikten um ein Vielfaches höher. In einer ganz anderen Dimension liegt der Bahnhofsvorplatz. Dort verzeichnet die Statistik für 2016 knapp 458 Straftaten pro 10 000 Quadratmetern – und das trotz Videoüberwachung.

Videoüberwachung – wie funktioniert das?

Die Bilder der derzeit drei Kameras am Hauptbahnhof laufen auf Monitoren im Polizeipräsidium auf, vor denen Polizeibeamte sitzen. Bei einer sich anbahnenden Straftat schicken sie einen Streifenwagen los. Die Bilder selbst werden 72 Stunden gespeichert. Langfristig ist der Einsatz eines speziellen Auswertungsprogramms für die Kamerabilder, also eine sogenannte intelligente Überwachung, geplant. Eine Änderung des baden-württembergischen Polizeigesetzes im vergangenen Dezember macht das möglich. In Paragraf 23, Absatz 4 heißt es jetzt, die Polizei dürfe ihre Bildaufzeichnungen „auch automatisch auswerten“. Diese Auswertung dürfe allerdings „nur auf das Erkennen solcher Verhaltensmuster ausgerichtet sein, die auf die Begehung einer Straftat hindeuten“.

Wie wertet der Computer Bilder aus?

Das Auswertungsprogramm kann – vereinfacht gesagt – Bewegungsmuster erkennen. Die Stadtverwaltung spricht von „typischen Situationsmustern und Bewegungsabläufen der Straßenkriminalität“. Als Beispiele nennt sie Personen, die schlagen oder treten oder solche, die stürzen. Derartige Situationen erkennt das Programm. Nur dann meldet es Alarm und soll so die Beamten am Bildschirm entlasten. Befürworter dieser computergestützten Überwachung führen an, dass sie mehr Datenschutz gewährleiste. Denn anders als bisher laufen die Bilder zunächst mit gepixelten Gesichtern der Menschen auf den Monitoren ein. Erst wenn das Programm Alarm schlägt, wird das Bild auf „scharf“ gestellt.

Das Analyseprogramm muss derzeit aber erst noch entwickelt werden, das Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung in Karlsruhe stellt es im Auftrag der Stadt aus bereits verfügbaren Komponenten zusammen oder programmiert Teile neu. Mannheim wäre deutschlandweit die erste Stadt, in der ein solches Programm zum Einsatz kommt. Rathaus und Polizei sprechen von einem „bundesweiten Pilotprojekt“. Eine Gesichtserkennung – bei der die aufgenommenen Bilder von Personen automatisch mit in Fahndungslisten hinterlegten Fotos abgeglichen werden – wird es in Mannheim laut Stadtverwaltung nicht geben.

Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Entwicklung eines solchen Programms?

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Elke Zimmer war vergangenen Herbst mit der Landtagsfraktion zu Besuch im Fraunhofer Institut. Sie berichtet, dass das Programm unter Laborbedingungen durchaus in der Lage sei, bestimmte Bewegungsmuster zu erkennen – nicht jedoch in komplexen Alltagssituationen, wenn etwa viele Menschen unterwegs seien. Auch das Rathaus erklärt auf Anfrage, das Erkennen von Bewegungsmustern unter „realen Umgebungsbedingungen“ mit Hintergrundbewegungen und Helligkeitsschwankungen stelle „eine Herausforderung dar“. Auf die Frage, wie das Auswertungsprogramm unterscheiden kann, ob eine Person eine andere in den Arm oder in den „Schwitzkasten“ nehme, gibt es von der Stadtverwaltung keine Antwort. Wenn das Programm da ist, will die Polizei mit zwei Beamten an den Monitoren auskommen.

Wie wird verhindert, dass Kameras in Wohnungen oder Praxen hineinfilmen?

„Durch eine Verpixelung von nicht öffentlichen Örtlichkeiten wird die Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht sichergestellt“, erklärt das Rathaus. Es sei technisch möglich, solche Privatzonen festzulegen. Für den Videobeobachter sei das Geschehen dort dann nicht sichtbar. Beim Drehen, Schwenken oder Zoomen mit einer PTZ-Kamera verschieben sich laut Stadtverwaltung die „maskierten Bereiche“ mit.

Welche Kameratypen werden genutzt?

Eingesetzt werden 60 statische und elf sogenannte PTZ-Kameras. Das steht für Pan-Tilt-Zoom, also Geräte mit Schwenk-, Neige- und Zoomfunktion. Zum Vergleich: Allein im Mannheimer Hauptbahnhof sollen 70 Kameras installiert sein und damit fast genauso viele. Die PTZ-Kameras sind dem Rathaus zufolge für Detail-aufnahmen über größere Entfernung nötig, die statischen für eine „konstante und flächendeckende“ Überwachung eines Bereichs. Auch das Auswertungsprogramm benötigt die statischen Kameras ohne Zoomfunktion, weil sie die bessere Bildauflösung liefern. Welche Fabrikate genau zum Einsatz kommen, kann die Stadtverwaltung noch nicht sagen.

Wo werden die Geräte angebracht?

Nach Angaben der Stadtverwaltung hauptsächlich an Dächern und Fassaden von Häusern, darüber hinaus an Beleuchtungsmasten. Betroffene Eigentümer privater Gebäude hätten ihre Zustimmung erteilt.

Wurde in der Innenstadt schon einmal gefilmt?

Zwischen 2001 und 2007 waren auf Paradeplatz, Marktplatz und in der Breiten Straße Kameras im Einsatz. Die Überwachung musste aber eingestellt werden, weil die Kriminalität so stark gesunken war, dass es sich nicht mehr um Brennpunkte handelte. Damals waren acht PTZ-Kameras im Einsatz. Bei der seit 2007 laufenden Überwachung des Bahnhofsvorplatzes sind es drei. Die Kriminalitätsbelastung dort ist aber trotz der Kameras verglichen mit anderen Innenstadt-Bereichen noch extrem hoch. Die Polizei bewertet es hier als Erfolg der Kameras, dass die Zahl der Straftaten am Bahnhof konstant blieb, während sie sonst in der Innenstadt stieg.

Welche Kritik gibt es an der Überwachung?

Mit den Fraktionen von SPD, CDU und Mannheimer Liste hat sich bei den Etatberatungen im vergangenen Dezember eine große Mehrheit im Gemeinderat für die Videoüberwachung in der Innenstadt ausgesprochen. Grüne, Linke und FDP dagegen sehen in ihr kein wirksames Mittel und sind gegen die Pläne der Verwaltung. Die Argumente: Mehr Polizisten auf der Straße seien das wirksamere Mittel für mehr Sicherheit, statt in Kameras solle man das Geld besser in Bildung und Präventionsarbeit investieren. Außerdem sei das Filmen im öffentlichen Raum ein erheblicher Eingriff in das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung.

Werden Straftaten nicht einfach nur in andere Bereiche verdrängt?

Beim Drogenhandel könne das durchaus möglich sein, sagt Polizeipräsident Thomas Köber. Deshalb will er seine Beamten auch weiterhin zum Beispiel in den S-, T- und U- Quadraten kontrollieren lassen. Die frühere Überwachung der Innenstadt habe aber gezeigt, dass es bei Gewalt- oder Diebstahlsdelikten keine Verdrängung gebe.

Wer trägt die Kosten?

Die teilen sich Polizei und Stadtverwaltung. Die Stadt übernimmt die Kosten für Kauf und Montage der Kameras, die Summe dafür beträgt 800 000 Euro. Hinzu kommen weitere 80 000 Euro für die Modernisierung der Geräte am Hauptbahnhof.

Die Polizei trägt die Kosten für die technische Infrastruktur innerhalb des Präsidiums. Zur Inbetriebnahme des Systems sind nach Angaben der Stadtverwaltung bei der Polizei Investitionen in Höhe von ungefähr 200 000 Euro erforderlich. Dazu kämen die Kosten für den laufenden Betrieb und die Weiterentwicklung des Computerprogramms – deren Höhe lasse sich einer Stadtsprecherin zufolge „derzeit noch nicht abschließend beziffern“.

Gibt es in anderen Städten in der Region eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze?

Nein. In Heidelberg plant die Stadtverwaltung, auf dem Bismarckplatz und vor dem Hauptbahnhof insgesamt fünf Kameras zu installieren. Die Aufzeichnungen sollen nur im Falle von Straftaten herangezogen werden. Nach 48 Stunden werden sie gelöscht. In Ludwigshafen hat die Stadtverwaltung derzeit „keine konkreten Pläne“, wie ein Sprecher erklärt. Das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz in Rheinland-Pfalz erlaube dies nur, wenn es darum gehe, eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. In Ludwigshafen sei das nicht der Fall.

Wo gibt es in Mannheim sonst noch Videoüberwachung?

In Kauf- oder Parkhäusern, aber auch in Bussen und Stadtbahnen. Die Überwachung von sogenannten öffentlich zugänglichen Räumen wie Kauf- oder Parkhäuser regelt das Bundesdatenschutzgesetz (Paragraf 6b). Der Eigentümer muss dafür „berechtigte Interessen“ vorweisen, etwa den Schutz vor Vandalismus oder Diebstahl. Gleichzeitig dürfen keine „schutzwürdigen Interessen“ Überwachter entgegenstehen. Zudem müssen Schilder anzeigen, dass überwacht wird. Die Voraussetzungen für das Filmen in Bussen und Bahnen stehen im Landesdatenschutzgesetz (Paragraf 20a). Es nennt ähnliche Punkte wie das Bundesdatenschutzgesetz. In allen rund 100 Bussen der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV) und auch in rund der Hälfte der Stadtbahnen filmen Kameras. Die Bilder werden 48 Stunden gespeichert. Eine Auswertung erfolgt laut RNV nur bei konkreten Straftaten in Abstimmung mit der Polizei.

Was sagt der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte?

Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink sieht das Projekt differenziert. Die Videoüberwachung „nicht unerheblicher Flächen“ der Innenstadt greife „schwerwiegend in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger“ ein, sagt er. „Das Wissen, ständig beobachtet zu werden, führt zu Verhaltensänderungen nicht nur der Personenkreise, bei denen dies gerade gewollt ist, also potenzielle Straftäter, sondern auch mitunter bei Bürgern, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.“ Gleichwohl sei es so, dass das Gesetz die Möglichkeit einer Videoüberwachung vorsehe – wenn es sich bei dem Ort um einen Kriminalitätsbrennpunkt handle. Dies müsse die Polizei „durch konkretes Zahlenmaterial“ belegen.

„Auch wenn rechtlich nichts gegen die geplante Überwachung vorzubringen sein wird“, so Brink, „wird es natürlich darauf ankommen, die praktische Umsetzung im Auge zu behalten. Insbesondere wird die Kriminalitätsentwicklung zu beobachten sein, um sicherzustellen, dass die Überwachungsvoraussetzungen durchgängig vorliegen und die Maßnahme gegebenenfalls wieder beendet wird.“ Auch der Einsatz eines Überwachungsprogramms hat für Brink unterschiedliche Aspekte. Positiv sei, dass ein solches System nur dann speichere, „wenn es relevante Sachverhalte erkennt“. Andererseits bestehe das Risiko, „dass das System harmlose Verhaltensweisen als gefährlich detektiert und sich Unschuldige plötzlich im Mittelpunkt eines Polizeieinsatzes wiederfinden“. Konkretes könne er dazu aber noch nicht sagen, so Brink, weil ihm noch „kein praxistaugliches System“ vorgestellt worden sei.

Die Stadtverwaltung würde die Kameras nach eigenen Angaben auch nach einem Rückgang der Kriminalität gerne weiterbetreiben, wenn ohne sie wieder ein Anstieg zu befürchten wäre. Es werde geprüft, „ob und inwiefern“ der Einsatz der intelligenten Überwachung auch dann möglich sei.

Redaktion Stellvertr. Leiter der Lokalredaktion Mannheim

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