Neuer Einsende-Rekord

Treue Leserbriefschreiber zu Besuch beim "MM": „Zum Denken anregen“

2117 Zuschriften hat diese Zeitung im vergangenen Jahr erhalten – und damit wird ein neuer Rekord aufgestellt. Nun waren drei Leser, die sich regelmäßig einbringen, zu Gast in der Redaktion.

Von 
Stephan Eisner
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In heiterer Runde (v.l.): Projektredakteur Stephan Eisner, Gunter Engert, Angela Wolf, Rolf Menz und Chefredakteur Dirk Lübke. © Rittelmann

Einmal im Jahr heißt es Bilanz ziehen. Das tut diese Zeitung auch bei den Leserbriefen – und Chefredakteur Dirk Lübke freut sich darüber, dass im Jahr 2017 mit 2117 Einsendungen der Rekord des Vorjahres noch einmal gebrochen wurde. „Es ist beeindruckend, dass sich so viele Leser die Mühe machen und etwas aufschreiben“, sagt Lübke, der zusammen mit Projektredakteur Stephan Eisner drei eifrige Schreiber zu einem Gespräch eingeladen hat: Angela Wolf, Gunter Engert und Rolf Menz.

„Können Sie sich noch erinnern, wann Sie ihren ersten Leserbrief geschrieben haben?“, will der Chefredakteur von seinen Gästen wissen. „Das war schon Mitte der 1980er Jahre“, antwortet Angela Wolf. Und schon damals hatte sie damit Erfolg. Sie forderte, dass vor der Schule ihrer Kinder eine Tempo-30-Zone eingeführt wird. „Die gibt es heute noch vor der Pestalozzischule“, sagt die Rentnerin stolz. Rolf Menz erzählt, dass es bei ihm „mit Sicherheit ein politisches Thema war, vermutlich ging es um Neonazis“. Er musste sogar einmal negative Erfahrung nach einem Leserbrief machen. „Ich hatte aufgezeigt, wie viel Arbeitszeit ein Lehrer täglich investiert – und schließlich Besuch vom Schulrat bekommen“, sagt der pensionierte Pädagoge. Sogar zum Direktor wurde er damals zitiert. „Das war Ende der 80er Jahre. Und es hat mich sehr belastet.“

Ungerechtigkeit anprangern

„Ich werde oft auf meine Leserbriefe angesprochen“, sagt Gunter Engert. Es seien Komplimente darüber, dass er sich „etwas traue“. „Meinen ersten Brief habe ich zum ,Weißen Ball’ in Mannheim geschrieben“, blickt er zurück. „Es ging mir darum, dass dort Austern gegessen werden, während in der Stadt eine alleinerziehende Mutter kaum über die Runden kommt.“ Auch die Mannheimer Adler sind ein Lieblingsthema Engerts. „Ich habe sie einmal als ,lahme Hühner’ bezeichnet. Das ist aber bestimmt 20 Jahre her.“ Vor allem Ungerechtigkeit treibt den ehemaligen Schriftsetzer um.

Alle drei Schreiber eint, dass sie sich viele Gedanken darüber machen, was sie verfassen. „Manchmal notiere ich schon beim Frühstück auf den Rand der Zeitung, was ich als Leserbrief schreiben will, denke noch einmal darüber nach – warte vielleicht sogar einen Tag – und bespreche schließlich mit meinem Mann Peter, ob das so okay ist“, erklärt Angela Wolf. Gunter Engert kommen die Ideen zu Leserbriefen manchmal bei einer Einkaufstour durch die Stadt. „Die Fülle an englischen Bergriffen hat mich einmal dazu gebracht, einen humorigen Brief zu Sales, Back-Factories, Workshops und so weiter zu schreiben“, sagt er. Darauf habe er schließlich sogar einen zustimmenden Brief bekommen.

Rolf Menz sieht es nicht als Ziel an, seinen Namen in der Zeitung zu lesen. „Ich will zum Denken anregen, sachlich und vernünftig informieren, im Meinungsbildungsprozess aktiv werden“, sagt der 65-Jährige. Damit erntet er Zustimmung bei seinen beiden Mitstreitern. „Mir geht es um die Sache. Ich muss auch nicht immer meckern und freue mich auch, manchmal positive Dinge zu schreiben“, wirft Angela Wolf ein. Und Gunter Engert will „wachrütteln“. Das geht auch Angela Wolf so: „Deshalb habe ich mich einmal mit der Stadtverwaltung in Mannheim angelegt.“ Als 2006 die Friedrich-Ebert-Brücke aufwendig saniert worden sei, habe sie festgestellt, dass anschließend an einem Aufgang keine Rampe für Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer mehr vorhanden war. „Das hat mich richtig aufgeregt – und schließlich rief nach meinem Leserbrief jemand von der Stadt beim mir an“, so Wolf. Und dann sei auch eine Rampe nachgerüstet worden.

Lob für neue Rubrik

Wolf, Engert und Menz, die sich täglich kritisch mit Themen und auch der Zeitung auseinandersetzen, loben bei ihrem Besuch, dass diese Zeitung transparent informiert. „Ich schätze die Kommentare zur Einordnung und finde es sehr gut, dass immer häufiger Pro-und-Kontra-Meinungen veröffentlicht werden“, sagt etwa Rolf Menz. „Das zeigt, dass auch in einer Redaktion nicht immer eine Meinung herrscht oder vorgegeben wird“, ergänzt Angela Wolf. „Wir bieten dadurch mündigen Bürgern die Möglichkeit, Argumente gegenüberzustellen und sich eine eigene Meinung zu bilden“, betont Chefredakteur Lübke.

Alle Leserbriefe, die bei dieser Zeitung eingehen, werden übrigens von ihm gelesen. Lübke behält sich vor, sinnwahrend zu kürzen. Anonyme Zuschriften veröffentlicht diese Zeitung ebenso nicht wie solche mit beleidigenden, ehrverletztenden und strafrechtlich bedenklichen Äußerungen. Im Zweifel prüft der Hausjurist die Inhalte.

Schließlich nehmen die drei Gäste noch an der abendlichen Blattabnahme im Newsroom, dem Herzen der Redaktion, teil. In diesem Großraumbüro sitzen die Blattmacher, die die Nachrichten des Tages in die Zeitung von morgen bringen. Was bis zur Konferenz, die gegen 17 Uhr beginnt, auf den Seiten steht, werden von Chefredaktion und mehreren Redakteuren geprüft – und bei Bedarf Veränderungen angeregt.

Auch die Gäste mischen hier kräftig mit und geben Anregungen zu Überschriften und lesen sich in Texte ein. „Das war heute keine Shake-Hand-Veranstaltung, Sie haben sich viel Zeit für uns genommen“, freut sich Rolf Menz zum Abschied. Und Gunter Engert ist sich sicher: „Diese Zeitung werde ich bis zum Lebensende lesen.“

Autor Projektredakteur/Autoredakteur

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