Corona-Pandemie - Kita-Leiterin aus Speyer schickt dramatischen Appell an die Aufsichtsbehörde / Abdruck in Originalfassung

Corona-Betreuung: So dramatisch schildert eine Kita-Leiterin aus Speyer die Situation

Von 
Sabrina Wöhlert
Lesedauer: 

Speyer. Sabrina Wöhlert hat ein emotionales Schreiben an die Aufsichtsbehörde geschickt, weil Kitas in der Pfalz trotz Shutdown im Regelbetrieb bleiben sollen. Hier der Text im Wortlaut.

Der Hintergrund

  • Kita-Leiterin Sabrina Wöhlert hat ein emotionales Schreiben an Detlef Placzek, Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung, geschickt, weil Kitas in der Pfalz trotz Shutdown im Regelbetrieb bleiben sollen. Diese Redaktion hat sich entschieden, den Brief in der originalen Fassung zu veröffentlichen.
  • Sabrina Wöhlert ist 32 Jahre alt und seit diesem Jahr Leiterin der Kita Wormser Landstraße (WoLA). (sal)

Meine Name ist Sabrina Wöhlert. Seit acht Jahren begegnen mir als Leiterin einer Bildungseinrichtung immer wieder große Herausforderungen. Täglich bin ich mir meiner großen Verantwortung bewusst. Auch während der größten Herausforderung in meinen Berufsjahren – „Corona“ – werde ich keinen Tag müde, meinen Beruf gerne auszuführen. Doch die Situation besonders in den letzten 14 Tagen in Speyer lässt mich jeden Tag hadern. Der Inzidenzwert in unserer kreisfreien Stadt liegt am heutigen Tag bei 391,6. Jeden Abend, wenn ich die Nachrichten schaue, treibt es mir die Tränen in die Augen und ich werde wütend, denn ich sehe in diesen Nachrichten Politiker, die erzählen, dass die Kitas weiterhin im Regelbetrieb sind.

Jeden Tag und unzählige schlaflose Nächte überlege ich wie ich 1. morgens mein Team motiviere, weiterhin großartige pädagogische Arbeit zu leisten und ohne Schutz in einer Gruppe mit 22 Kindern weiter zu arbeiten. Wie ich 2. alle Hygienerichtlinien und Vorgaben umsetze und 3. einen Dienstplan gestalte, der den Betrieb einigermaßen aufrecht erhält. Wie ich mich 4. reflektiere, wenn mich unzählige Eltern hilflos und wütend am Telefon anschreien und es 5. schaffe, alle Anfragen, Statistiken und so weiter meinem Träger pünktlich abzuliefern.
Wie soll es weiter gehen?

Zehn- bis 12-Stunden-Arbeitstage und Einsatz am Wochenende, um Elternbriefe zu versenden et cetera, sind leider keine Seltenheit mehr. Aber wie soll das alles für die pädagogischen Fachkräfte weiter gehen? Unzählige Kinder sind krank und infektiös. Sind es nur die bekannten Schnupfennasen oder doch Corona? Erzieherinnen und Erzieher, die zur Risikogruppe zählen, schwanger sind, Urlaub haben, an Covid erkrankt sind oder einfach so krank sind, fallen täglich aus. Dazu kommen ständige Quarantänen meiner Fachkräfte oder deren minderjährigen Kindern. Jeden Tag muss ich anderen Eltern aus unseren drei Bereichen Krippe, Kindergarten und Hort informieren, dass heute der Notfallplan wieder eintritt.

Videokonferenzen spät abends

Seit Wochen schaffen wir es nicht mehr, die Öffnungszeiten zu gewährleisten. Einzelne Gruppen sind häufig im Notbetrieb und manche sogar ganz geschlossen. Besonders die Eltern der systemrelevanten Berufe stehen ständig verzweifelt am Tor vor mir. Persönliche Gespräche sind mit Abstand und Maske schon lange nicht mehr intensiv möglich.

Meine Teammitglieder überlegen sich ständig kreative Möglichkeiten Kinder, Eltern bei Laune zu halten. Trotz schlechter EDV-Ausstattung in den meisten Kitas, ist sich jetzt keine Leiterin zu schade, Videokonferenzen bis spät in den Abend mit dem Elternausschuss von zu Hause abzuhalten. Transparent versuchen wir darzustellen, welche Situation gerade in den Kitas ist. Aber wie sollen das Eltern verstehen, wenn jeden Tag in den Medien alles anders dargestellt wird, wenn Sie, als Aufsichtsbehörde mit Ihren Elternbriefen die Situation beschönigen?

Warum haben wir jetzt schlechtere Rahmenbedingungen in den Kitas als beim Lockdown im Frühjahr? Warum gibt man der Stadt keinen Spielraum, bei so einem schlechten Inzidenzwert den Rechtsanspruch auf Betreuung auszusetzen? So könnten wieder Notgruppen eingeführt werden, die Kontakte wären wirklich beschränkt. Das Personal wäre ausreichend und Eltern in systemrelevanten Berufen hätten wieder eine kontinuierliche Betreuung ihrer Kinder.

Jeden Abend frage ich mich, warum man möchte, dass das System Kita gerade kollabiert? Und falls Sie denken, dies ist nur meine persönliche Meinung, bin ich mir sicher, dass Leitungskräfte verschiedenster Trägerschaften diese Situation bestätigen könnten. Sehr gerne kommen wir mit Ihnen ins Gespräch. Mit freundlichen Grüßen aus Speyer, wo sich die Lage leider nicht nur in den Kitas dramatisch zuspitzt.

Mehr zum Thema

Fragen und Antworten Notbetreuung ersetzt in Mannheim den Unterricht im Corona-Lockdown

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Digitalisierung an Mannheimer Schulen Besser als im März? „Das ist ganz unterschiedlich“

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Schulen ab Mittwoch geschlossen Baden-Württemberg vor Lockdown - "Die Lage ist ernst, sehr ernst"

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Thema : Coronavirus - aktuelle Entwicklungen im Überblick

  • Wirtschaft Umsatz im Gastgewerbe bleibt weit unter Vor-Corona-Niveau

    Das Gastgewerbe erholt sich nach der Pandemie nur mühsam. Auch die Wiedereinführung des regulären Mehrwertsteuersatzes macht sich bemerkbar.

    Mehr erfahren
  • Vermischtes Lauterbach: Versorgungsnetz für Long Covid baut sich auf

    Die akute Corona-Krise ist vorbei, doch Langzeitfolgen machen Betroffenen noch schwer zu schaffen. Zunächst gab es wenig Anlaufstellen für Erkrankte, und Wartezeiten sind lang. Tut sich da etwas?

    Mehr erfahren

Copyright © 2024 Mannheimer Morgen