Emotionen und ihre Folgen

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© Gerd Altmann

Wann werden Gefühle als ‚emotional‘ betitelt? Wie können wir lernen, mit ihnen umzugehen? In jeder Gesellschaft ist das Verhältnis zu Emotionen unterschiedlich. Während tendenziell in südlicheren Gefilden Emotionen oft mit einem hohen Geräuschpegel und Körpereinsatz ausgedrückt werden, werden Gefühle im Norden doch eher verhaltener artikuliert. Was bedeutet dies nun für die Pflege? Wieviel Emotionen dürfen oder sollten die Beteiligten zeigen?

Die Erkenntnisse einer pflegenden Angehörigen - Frau G. erläutert ihre Sicht der Dinge

Ich persönlich bin schon immer mit meinen Emotionen in Deutschland etwas angeeckt. Ich war schon immer sehr emotional, nah‘ am Wasser gebaut und laut. Das zeigt sich auch in meiner Streitkultur, die von vielen Menschen um mich herum als ‚problematisch‘ anerkannt wurde und mir daher nicht nur einmal angeraten wurde, mich in psychologische Behandlung zu begeben. Als ich jedoch nach Russland kam und 1996 gar in den Kaukasus übersiedelte, waren meine Emotionen schon fast mein ‚Markenzeichen‘. Sie wurden mein Eintrittsticket in das Geschäftsleben, denn mit der Zur-Schau-Stellung meiner Gefühlswelt, war ich sozusagen eine Exotin. Allerdings nicht, wegen meiner Tendenz zum lauten Diskutieren und Einsatz aller Gesten, die mir so in den Sinn kamen – nein, es war die Kombination Deutsch zu sein UND emotional, die mir den Zutritt zu den Kaukasiern, den Osteuropäern generell und den Arabern sehr erleichterten.  

Pflege soll zurückhaltend im Hintergrund passieren

In unserer Kultur wird erwartet, dass gepflegt wird – und zwar ‚leise‘. Dass man seinen Teil leistet, wenn man pflegebedürftige Angehörige hat. Die damit verbundene Last, dass man eine sehr komplexe und schwierige Lebenssituation meistert und sich oftmals voll ins Zeug legt, sollte man bestmöglich nicht zeigen. Mit Wertschätzung in- und außerhalb der Familie ist es auch nicht weit her. Und dann belastet die Situation schon an sich und man weiß gar nicht mehr wohin mit den Emotionen und den ganzen Gefühlen, die sehr erdrückend sein können. Auch darüber sprechen, ist schon schwierig, da viele Menschen diese Gespräche versuchen abzuwenden oder gar nicht hören möchten. Wo also hin mit all den Gefühlen, Gedanken, Emotionen, Ängsten?  

Warum es so viel Gewalt in der Pflege gibt

Meiner Meinung nach haben wir deshalb relativ viel Gewalt und negative Emotionen in einer Pflegesituation, weil die Betroffenen zu selten von anderen aufgefangen werden. Auf der einen Seite gibt es zu wenig passende Angebote, besonders wenn man auf dem Land lebt, oder die Betroffenen haben Probleme, sich über derart persönliche Dinge auszutauschen. Da gibt es viele Facetten und eine Lösung, die für alle gleichermaßen gilt, gibt es nicht. Doch es fehlt auf jeden Fall der emotionale und physische Ausgleich, weil es oftmals schlicht und ergreifend an Zeit mangelt. Besonders Frauen, die oftmals die Pflege übernehmen und zur gleichen Zeit auch noch Mütter sind, einer Arbeit nachgehen und noch zu Hause viele Pflichten übernehmen, sind in der Regel stark gefährdet emotional auszubrennen. Hinzu kommt, dass es in unserer Gesellschaft nicht besonders akzeptiert ist, wenn Frauen dann mal ausflippen, heulen, schreien oder einfach nur komplett am Ende sind.    

Als Frau bist Du hysterisch - als Mann der engagierte und durchgreifende Entscheider

Frauen werden auf ihre Hormone reduziert, während Männer eher als emotional, für die Sache brennend und als durchgreifend wahrgenommen werden. Auch mir ging es ähnlich in der Pflegesituation. Mein Bruder, der zudem noch angestellt war und sich an der Pflege nicht beteiligte, wurde von Außenstehenden eher noch verständnisvoll behandelt, während meine Selbständigkeit kaum wahrgenommen wurde und meine Gefühle keine große Rolle spielten. Das Schlimmste war allerdings, als es um die Betreuung meiner Mutter ging und wir vor Gericht landeten, das selbst die Richterin mich rügte. Sie sagte, dass es wohl kaum schicklich und akzeptabel sei, seinen Bruder so anzugehen (ich war halt mal wieder laut) und sie glaube nicht, dass ich dem Ganzen emotional gewachsen sei. Dies noch dazu von einer Frau zu hören, war für mich der Gipfel. Dazu sei gesagt, dass ich Ungerechtigkeit schwerlich ertragen kann. Es macht mich rasend, wütend und ohnmächtig zugleich ich fühle mich hilflos. Vor Gericht zählte am Ende jedoch der Wille meiner Mutter, die entschied, dass ich die Betreuung übernehmen solle. Was mich das Ganze allerdings an Nerven, Tränen und schlaflosen Nächten gekostet hat kann man sich nur schwer vorstellen.

Mir hat es in der Pflegesituation geholfen, dass ich wunderbare Freunde hatte und ich mich immer viel sportlich bewegt habe, sei es gejoggt, geschwommen oder Rad gefahren bin. All das half mir, um meine Gefühle in die Balance zu bringen.

Seien Sie stolz auf Ihre Leistung und seien Sie gnädig mit sich selbst

Ich bin stolz auf meine Emotionen, ich liebe meine Persönlichkeit und meine Charakterzüge. Ich kann auf eine gelungene Pflege- und somit eine Ausnahmesituation zurückblicken, die ich sehr gut gemeistert habe. Eine Situation, die mich persönlich wachsen und reifen ließ und die wahren Werte mir wieder ins Gedächtnis riefen. Alle Menschen, die pflegen, leisten Besonderes. SIE sind etwas Besonderes und lassen Sie sich nichts von anderen Menschen einreden oder sich verunsichern. All das was Sie leisten, soll Ihnen erst mal jemand nachmachen. Und noch was: holen Sie sich Hilfe, wenn Sie das Gefühl haben, der Situation nicht mehr gewachsen zu sein. Das ist KEIN SCHEITERN, es ist klug und weise sich Unterstützung zu holen, wenn man sich überfordert fühlt. Es ist kein Makel und keine Schande.

In diesem Sinne – lassen Sie die Emotionen raus, bevor Sie oder jemand anders darunter leidet.

Bis nächste Woche,

Ihre Waltraud Gehrig

www.pflegenetzwerke.de

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