Wenn Pflegende an ihre Grenzen stoßen

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© Gerd Altmann

Schon letztes Mal habe ich auf die extremen Belastungen einer Pflegesituation besonders in Verbindung mit der Corona-Pandemie hingewiesen. Und es wird wieder schlimmer. Nicht nur, dass einiger Ortens bereits der zweite Lockdown umgesetzt wird. Die Pflegesituation an sich ist extrem belastend. Was kann man tun, um damit am besten umzugehen?

Die Erkenntnisse einer pflegenden Angehörigen - Frau G. erläutert ihre Sicht der Dinge

Pflegesituationen bringen Menschen an ihre Grenzen und an den Rand des Machbaren. Wenn hinzukommt, dass der pflegende Mensch noch arbeitet und eventuell zudem andere Familienmitglieder zu betreuen oder zu versorgen hat, dann wird der wichtigste Mensch an die letzte Stelle gesetzt – und das sind Sie selbst! Sie benötigen genauso Pflege, wie die kranken Menschen, für die Sie alles möglich machen, dass es ihnen gut geht. Daher sollten Sie sowohl ihre eigene Physis aber auch die Seele im Visier haben, regelmäßig pflegen und hegen. Auszeiten sind ein MUSS!

Ja, es funktioniert.

Wann immer ich einen Pflegenden treffe und die Frage stelle, ob er/sie sich auch um sich selbst kümmert höre ich ein: „Das geht leider nicht. Dafür habe ich keine Zeit. Kein anderer kann mich ersetzen.“ Vielleicht möchte das der zu Pflegende auch nicht. Aber es funktioniert alles, wenn man es möchte. Denn der Kranke wird wohl oder übel eine andere Lösung akzeptieren müssen. Z.Bspl. dann, wenn Sie irgendwann nicht mehr können, Ihre Energiereserven aufgebraucht sind und Sie im schlimmsten Fall selbst erkranken. In dem Fall muss eine Alternative her. Es sollte aber nicht so weit kommen. Es gibt viele Strategien, um diese Überlastung zu vermeiden und Belastung zu verringern.

Außerdem: die meisten Menschen, die pflegen sind der Überzeugung, dass nur sie selbst die Pflege leisten können und die anderen es nicht richtig tun. Das ist definitiv ein Trugschluss. Es geht auch dabei nicht um besser oder schlechter. Vielleicht machen es die anderen einfach ‚anders‘ und daher denkt der Pflegende es sei ‚richtig oder falsch‘. Es gibt hunderte von Arten, Geschirr abzuwaschen und jede führt zum Ziel: das Geschirr ist danach sauber. Sie werden einwenden: „Hier geht es aber um einen Menschen!“ Ja, korrekt. Aber es geht hier auch um Sie und wir reden nicht über wochenlange Ersatzpflege, sondern um die Zeit, wenn Sie sich mal selbst erholen können.     

Familien und Bekannten mit einspannen

Je nach Alter des zu Pflegenden, besonders bei jüngeren Menschen, Kindern oder Jugendlichen, sind ebenso Geschwister oder Freunde bereit, um mal ein paar Stunden einzuspringen. Gerade junge Menschen sind oftmals bereit Verantwortung zu übernehmen und mit dem Kranken eine gewisse Zeit zu verbringen. Sie bringen Abwechslung und mehr Leichtigkeit in die Pflege. Besonders, wenn die Jungen es von sich aus anbieten, sollten Sie das Angebot nicht abschlagen. Wichtig ist in dem Fall, Notrufnummern parat zu haben und eventuelle außergewöhnliche Situationen im Vorfeld zu besprechen und zu erklären, was dann zu machen ist. Gerade bei einer chronischen oder Krebserkrankung sind auch gewisse Körperreaktionen des Kranken zu erwarten oder treten ab und an auf.

Der Verein und die Nachbarn

Gerade, wenn Kranke lange Jahre in einem Verein, der Kirche oder anderen Organisationen tätig waren hat sich in der Regel eine größere Kontaktgruppe gebildet, Freundschaften wurden geschlossen. „Richtige Freunde erkennt man in der Not“ sagt ein Sprichwort, was definitiv Recht behält. Und auf diese Freundschaften sollten man auch aktiv zurückgreifen. Fragen kostet nichts, seien Sie aber nicht enttäuscht oder beleidigt, wenn die Menschen nicht gleich zusagen oder gar absagen. Es traut sich nicht jeder zu, bei einem kranken Menschen alleine zu bleiben. Für manche ist die Verantwortung zu groß.  

Suchen Sie sich Gleichgesinnte

Neben regelmäßigen Auszeiten sind vor allem der Austausch mit Gleichgesinnten von enormer Bedeutung. Glauben Sie mir, dass ist nicht zu unterschätzen. Es gibt sehr viele Angebote, Selbsthilfegruppen und kleinere Gruppen, die den pflegenden Menschen Halt geben. Es ist ein geschützter Raum, in dem nicht bewertet wird. Hier können Sie den Emotionen freien Lauf lassen und Ihre tiefsten Gedanken mit anderen teilen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Der große Vorteil ist, dass man von den Erfahrungen anderer profitieren kann. Man muss sich oder eine Situation nicht näher erklären. Die meisten können die Emotionen sehr gut nachvollziehen. Meine ‚Mädels‘ und ich (wir sind fünf) treffen sich noch heute. Zwei von uns haben noch ein Elternteil, wir anderen sind ‚verwaist‘. Und gerade in der Situation nach dem Tod des zu Betreuenden Menschen, war es diese Gruppe, die mich aufgefangen hat.

Den Anfängen trotzen

Eine psychische Belastungssituation kann zu einer schweren Erkrankung führen. Sei es eine Depression oder ein Burn-Out-Syndrom und vieles mehr. Um dem entgegenzutreten, veranstaltet das Netzwerk für das Alter im Landkreis Kusel in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. eine Online-Live-Seminarreihe „Burnout-Prophylaxe“ für Angehörige von Menschen mit Demenz, Pflege- und Betreuungskräfte und Interessierte. Besonders eine Demenzerkrankung bedeutet eine starke seelische Belastung für die Pflegenden. Auf unserer Webseite finden Sie mehr zur Anmeldung.

Hier die einzelnen Themen:

  • Dienstag 27.10.2020 Was ist Demenz?
  • Dienstag 03.11.2020 Wie komme ich in Kontakt? Wie erhalte ich Selbstständigkeit?
  • Dienstag 10.11.2020 Oase-Momente entdecken
  • Dienstag 18.11.2020 Minimierung von herausfordernden Verhaltensweisen. 

Bleiben Sie gesund, kümmern Sie sich besonders um sich und bis nächste Woche,

Ihre Waltraud Gehrig

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