"Kinder in ihrer Besonderheit sehen"

Grußwort: Dekan Karl Hans Geil zum Start in die erste Klasse

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Karl Hans Geil, Dekan im Ried

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Liebe Leserinnen und Leser,

die ehemalige hessische Bildungsministerin Karin Wolf hatte ich vor einigen Jahren ins Lessinggymnasium in Lampertheim eingeladen. Es war kurz vor Beginn des neuen Schuljahres, und sie begann ihr Referat mit den Worten: "Bald werden wieder viele Schulanfänger mit den Worten begrüßt: Nun beginnt der Ernst des Lebens! Ich hoffe, das ist das einzige Falsche, was zu ihnen gesagt wird." Ich muss sagen, sie hatte und sie hat recht.

Denn auch in den Kindertagesstätten wird Bildungsarbeit geleistet und inzwischen auch schon in den Krippen. Sozialverhalten wird eingeübt, motorische Entwicklung gefördert. Auf Wortschatz, Sprachfähigkeit wird geachtet, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Kinder wird ausgebildet.

Auch hier wird pädagogisch gearbeitet, gelernt und gefördert. Ebenso sind die Zeiten vorbei, in denen Grundschulklassen die ganze Zeit stillsitzen mussten, sich brav melden und nur etwas sagen durften, wenn die Lehrkraft es erlaubte. Heute gehören Rituale, Wochenplan, eine Lehrkraft im Hintergrund, ein Klassenzimmer, das für Lernen, Gruppenarbeit, Stuhlkreis zum Lebensraum einer Klasse gestaltet ist, ebenso dazu wie das Lernen mit "allen Sinnen".

Die Erwachsenen sehen den Schulanfang oft mit anderen Augen. War es vorher wichtig, sein Kind gut aufgehoben zu wissen und versorgt, so kommen jetzt Ängste hinzu. Jetzt beginnt die Grundlegung dafür, was aus dem Kind mal wird. Wenn jetzt was schief läuft mit Lehrkraft oder Gruppe, dann hat das Auswirkungen auf die weiterführende Schule und so weiter.

Neben der Erfahrung, dass mein Kind größer, älter, selbstständiger wird, treten nun auch Befürchtungen. Das macht es Lehrkräften manchmal nicht einfach. Besonders, wenn besorgte Eltern dann ihr Kind noch ins Klassenzimmer begleiten, den Platz für ihr Kind aussuchen wollen und sich am liebsten daneben setzen würden.

Für die Neulinge ist es ein spannender Neuanfang. Weil es eine neue Gruppe ist mit neuen Gesichtern - hier muss ich meinen Platz finden, Mut haben, mich zu melden und manchmal auch akzeptieren, dass ein anderes Kind vor mir dran ist. Wird mein Lehrer mich mögen, meine Lehrerin streng sein? Werde ich beachtet und anerkannt?

Doch schon bald sortiert sich die Klasse: Es zeigt sich, wer die Wortführer werden, wer oft drangenommen wird, wer einen besonders schönen Ranzen hat und mit wem man sich anfreunden könnte. Gar nicht so einfach, hier gesehen und gehört zu werden, sich einen Platz zu erobern im Herzen der Lehrerin und von den Mitschülerinnen und Mitschülern gemocht zu werden.

Da gibt es auch mal Konkurrenzen und es dauert, bis die Leisen Mut finden, sich zu äußern. Das ist das Spannende an Gruppen - nicht nur bei Kindern. Doch es wächst und entwickelt sich, das ist wichtig.

Drei Wünsche möchte ich mitgeben in den neuen Anfang:

Den Lehrkräften wünsche ich den Mut, zu ihrer pädagogischen Aufgabe zu stehen, die Kinder in den Blick zu nehmen, sich auf sie einzustellen und sie spüren zu lassen: Ich nehme Dich wahr, ich mag Dich und bin für Dich da.

Den Eltern wünsche ich, dass sie Vertrauen in die Lehrkräfte haben. Ihren Kindern Mut machen für das Neue und im Austausch mit Lehrern und Schule bleiben.

Den Kindern wünsche ich, dass sie in ihrer Besonderheit gesehen und gehört werden und sich gut aufgehoben fühlen. Dass sie fragen dürfen und antworten ohne Angst, verlacht zu werden. Und, dass es noch dauert, bis sie spüren, dass auch verglichen und bewertet wird.

Einen frohen Schulanfang wünsche ich Lehrkräften, Eltern und vor allem den Kindern.

Karl Hans Geil, Evangelischer Dekan im Ried

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